Freitag, 27. Dezember 2013

Andreas Kümmert: Simple Man

Eigentlich ist dieser Mann ein wenig zu bedauern. Auch wenn The Voice of Germany tausendmal als die bessere und die andere Casting-Show beschrieben wird, als Gewinner der Ausgabe 2013 muss er nun erstmal gegen diesen Sieg ankämpfen. Ivy Quainoo, die Siegerin der ersten Ausgabe im Jahr 2012, ist – gemessen an ihren Mainstream-Verkaufshits – auch nur ein Casting-Show-Produkt mit mäßigem Erfolg. Und immer wenn ihre Name auftaucht, dann ist auch sofort der Link da: Siegerin bei ... welchem Casting doch gleich? Nicht unbedingt in jedem Fall vorteilhaft.

Vom Sieger 2012 Nick Howard spricht heute gar keiner mehr – Popularität während der Show heißt also nichts. Und nun tritt Andreas Kümmert an. Gern wird er als der komplett andere Sieger bezeichnet. Er kommt zu den Shows und selbst zum Finale kein bisschen herausgeputzt – eher noch alltäglicher, noch abgerissener. So wie sein Leben bisher verlief. Er kann auch bereits nach dem Halbfinalauftritt einen veritablen Top 5-Hit vorweisen. Und selbst meine Mutter, die Pop höchst ätzend findet, murmelt anerkennend: “Aber eine gute Stimme hat er...” Sind das die richtigen Vorzeichen für einen Ausnahme-Sieg?

Was wird da also kommen? Wird nun ernsthaft ein Casting-Sieger eine länger anhaltende Karriere haben? Bisher gab es lediglich Lena, die dieses Kunststück hinlegen konnte (von den No Angels jetzt mal abgesehen – das war dann doch eine andere Liga).

Seine Single Simple Man, die kommt erstmal ordentlich bodenständig daher. Ein soulgefüllter Titel den auch Joe Cocker vor 30 Jahren schon hätte zum Hit machen können. Mit seiner Präsenz in der Show erreichte er ein Riesenpublikum. Vor allem eines, dass sich an Einzeltiteln erfreuen kann.



Nun bleibt abzuwarten was passiert, wenn die Medienaufmerksamkeit nicht mehr auf ihn gerichtet ist. Wie überzeugend ist dann sein Sound, seine Handschrift? Oder ist er eventuell sogar glücklich, wenn es danach erstmal wieder etwas ruhiger zugeht? Als Popstar hat er sich zumindest bisher noch nicht inszeniert.

Vielleicht ist genau das auch das Überzeugende. Denn auch wenn an The Voice of Germany immer wieder dran steht: hier geht’s um die Stimme, nicht um die Inszenierung – am Ende wählen Fernsehschauende immer auch das was an Geschichte um einen Song oder eine Kandidatin herum aufgebaut wird. Und hier ist es eben auch der Musiker, der nichts anderes ist und sein will. Und der nicht mal die Bohne versucht auf Pop zu machen. Was ihn nicht davon abhält Popularität zu erlangen. Schön, dass so etwas passieren kann.

Wenn ein bisschen von dieser Bodenständigkeit erhalten bleibt, ohne dass es in den absoluten Folksong-Kitsch abgleitet, dann wär’s noch schöner. Gefühlvoller Soul, gern etwas größer instrumentiert und trotzdem nicht übertrieben hochpoliert – das ist durchaus eine Nische, die hierzulande noch nicht so oft bedient wird. Es gibt also noch einiges zu tun. Und für Andreas Kümmert ein ordentliches Betätigungsfeld.





Freitag, 20. Dezember 2013

MARTERIA: Kids (2 Finger an den Kopf)

Es gibt also Pop-Acts die kann man einfach nur vergessen: vorausberechnend, auf Masse gebürstet, inhaltsleer, Hauptsache Skandal und ein paar chice Kostüme. Die sind strunzlangweilig und nur in den allerseltensten Fällen auch nur einen Hauch Aufregung wert.

Dann gibt es die Guten: diejenigen, die sich ein bisschen mehr den Kopf machen, die ziemlich genau reflektieren was für ein Scheißverein dieser Pop-Zirkus eigentlich ist und die trotzdem coole Musik machen. Oder auch saulustig sind: Brezel Göring ist so einer.

Und dann gibt es welche, bei denen weiß man nicht so genau. MARTERIA zum Beispiel. Der schliddert ordentlich hin und her zwischen schweinecool und peinlich bieder.

Da er außerdem der Generation Ironie angehört weiß niemand so recht, was nun genau Sache ist. Er entzieht sich einfach einer Festlegung durch gnadenlose Brechung aller Ebenen. Selbst sein jüngster Streich Kids (2 Finger an den Kopf), der ja geradezu direkt ausspricht was er meint, lässt noch genügend Interpretationsnischen offen. Ich kann mich am schönen Styling der Mädels im Video genauso freuen wie ich den Text unglaublich kritisch und auf den Punkt getroffen finden kann. Ich kann auch genauso gut die Ironiefolie drüber legen und das Ganze ist mindestens entgegengesetzt gemeint. Oder das Gegenteil vom Gegenteil. Oder was auch immer.



Am Ende haben sich alle im Deutungschaos verloren und es bleibt lediglich die Entscheidung des Bauches: Mag ich den Beat? Mag ich die Art des Rhymes? Find' ich Kinderchöre cool? - Das kann alles ordentlich nach hinten losgehen. Kinderchöre sind ja eigentlich schon ganz schön verbraucht. Und die Sinnlos-Ich-mein-gar-nix-mehr-Partynummer ist auch nicht grad der Bringer für 'ne längere Zeit. Schön, dass sich MARTERIA dann trotzdem noch traut Geschichten zu erzählen, über das Leben nachzudenken und das sogar in Musik zu verpacken. Mit diesem Mut, auch mit dem Ergebnis, nie eine Lösung anbieten zu können, sondern sich einzugestehen, dass es eben doch immer nur so weiter geht – mit dieser Haltung bringt er unsere Realität, unsere Gesellschaft schön auf den Punkt: Zu kompliziert um begreifbar zu sein, zu komplex um irgendwie beeinflusst werden zu können. Und trotzdem auch schön, geil, lustig. Das hat er hier gut hingekriegt. Es muss also nicht zwangsläufig peinlich sein, wenn man Rapper und Papa gleichzeitig ist.

Danke für diese Lehre.

Freitag, 13. Dezember 2013

Faul & Wad Ad Vs. Pnau: Changes

Hit Nummer 3 im identischen Gewand! Nach Sonnentanz und Jubel ist es nun also Changes. Und es lässt sich an dieser Stelle wunderbar alles das wiederholen was schon gesagt wurde. Einlullender, flauschiger Schubidu-Lounge-Sound – das Ding der Stunde. Und ganz frech steht da immer noch Deep House dran.

Nun ja, wahrscheinlich war dieser Stil tatsächlich noch nie etwas anderes. Auch wenn in den 90ern gern das innovative Potenzial unterstrichen wurde. Aber ich will an dieser Stelle gar nicht die Vergangenheit verunglimpfen, zumal diese sich ja dann doch recht schwer rekonstruieren lässt. Im Jetzt und Heute dürfte Deep House mit den banalen Superhits der letzten Monate seinen Todesstoß erhalten. Eventuell war die hippieske Verklärung des Sounds noch irgendwie verständlich als Fluchtbewegung – wenigstens was für eine Nischenszene, die nach dem Radio-Tod-Gedudel weiter inbrünstig und unbeobachtet ihrem Sound frönen könnte. Mit dem neuesten Kapitel in Form von Changes dürfte auch das unmöglich geworden sein.

Deep House ist nun nämlich Kindersound. Aber nicht, weil dort ein Kinderchor-Sample verramscht wird. Wesentlich schädigender ist das mitgelieferte Video. Wie wir ja doch immer wieder feststellen ist die Visualisierung von Musik ein expliziter Erfolgsfaktor und die mitgelieferte Bildwelt wesentlich für das, was mit dem einen oder anderen Titel verbunden wird.

Faul & Wad Ad haben sich als Großstadt-DJ-Duo aus Paris eine debile, amerikanische Vorort-Kinder-Geschichte zu ihrer Produktion drehen lassen. Da rennen also kriegsbemalte Kinderkrieger mit Klopapiergewehren durch die Stadt um ihre von einer anderen Kindergang entführte Freundin zu befreien. Mama im Retro-50ies-Look guckt aus dem Fenster und freut sich an den Lieben. Pippi Langstrumpf lässt grüßen.



Jetzt bin ich also mal ganz ganz doll positiv und deute den Quatsch als Kinder-an-die-Macht-Wunsch, als Plädoyer für mehr Verspieltheit, weniger Bürokratie und Steifheit – macht euch mal locker und genießt euer Leben!

Warum funktioniert das aber trotzdem nicht? - Weil der Deep House-Saxophon-Soundtrack viel zu wenig von dieser ungestümen und unberechenbaren Freiheit transportiert. Das ist alles ordentlich vorhersehbar und stört eben kein bisschen. Da ist das Original zum verramschten Kinderchor-Sample um Lichtjahre spannender. Knarzig, trötig, ein bisschen schief und dazu mit einem völlig absurden Video sind Pnau in ihrer Haltung wesentlich mehr kindlich unverbraucht als ihre französischen Kollegen.



Und auch wenn man Pnau für alles mögliche ebenfalls kritisieren könnte und ihre große Zeit wohl auch schon 3 ... 4 ... 5 Jahre her ist – dass sie jetzt so gnadenlos weichgespült werden, haben sie ernsthaft nicht verdient.

Donnerstag, 5. Dezember 2013

Pitbull Feat. KE$HA: Timber

Wer hätte das gedacht: eine absolut knallhart berechnete Kombination von Proleten-Stars schafft es doch wirklich sich breit durchzusetzen. Dabei sah es mit Mr. Worldwide Pitbull beinahe schon nach einem Schwächeanfall aus. Genug hoch und runter gedudelt schien sein Rotzfrech-Party-Rapstyle. Wiederholung des Immergleichen. – Und Madame White Trash KE$HA? Was bitte hatte die denn jetzt noch genau zu melden? TiK ToK – ok, das war anständig auf die Glocke gehau’n und für 2010 auch eine Art ,sich dümmlich-frech in Szene zu setzen, die in ihrer Dreistigkeit ungewohnt war. Aber danach war das Luder-Ding aus dem Vorort irgendwie durch. Wer will schon immer mit zerrissenen Strumpfhosen Whiskey schlürfen und auf Schlampe machen?

Jetzt haben sich also beide zusammen geschmissen – oder schmeissen lassen. Das passt erstmal ganz gut: betonte und zur Schau gestellte Gripslosigkeit in Potenz – Party bis zum Abwinken ist angesagt. Die Atzen haben’s schön vorgemacht und lassen grüßen.

Neu ist, dass beide zusammen jetzt auch noch das verbraten, was einem als Sound bei dem Begriff “Provinzeinöde” so einfällt: Mundharmonikasound. Dank AVICII und dem Country-Folk-Hype im Mainstream-Pop finden das natürlich eine Menge Leute großartig. Ich hab’ mich an dieser Stelle schon über die Parallelen zu den Rednex ausgelassen. Würde mich nicht wundern, wenn die jetzt auch gleich noch ein Comeback feiern. Nichts Neues also an der Partyfront.

Zu dem Ganzen gehört natürlich auch eine visuelle Umsetzung, die genauso gnadenlos alle Scheiß-Klischees aus der Vorort-Langeweile bedienen die nur so existieren: wackelnde Frauenärsche in Hot Pants, die Music Box aus den 50ern, eine Farm mit Ziegen und ein Rodeo-Ritt. Mister Worldwide bevorzugt es dagegen weißsträndig-karibisch, wie immer im Drogendealer-Anzug und auch hier umgarnt von einer Inselschönheit.

Dass genau diese Bilderwelt dem Song nochmal einen Popularitätsschub verleiht (bislang war Timber zwar ein Top 10-Hit in den deutschen Singlecharts, jetzt mausert er sich gar zur Nr.4) verweist auf die Vorlieben des deutschen Publikums: Südsee, Jungs-Träume und Macho-Scheiße. Wo richtig starke Männer ungebändigte Tiere zurechtreiten, da darf auch gefeiert werden. Und die blöden Frauen, die sich potthässlich zurechtmachen, sind ordentlich geil und lassen sich gern zum Nachtisch vernaschen. Früher lief so was als enorm langweile Nachtschleife bei RTL und Sat.1. Und war da schon an grenzenloser Debilität nicht zu überbieten.

Gibt es in dieser enorm satten und oberflächlichen Gesellschaft eigentlich überhaupt noch ein anderes Thema als die hirntote Dauerparty?

Die Konsequenz, mit der hier diese ganze Stupidität und Doofheit umgesetzt wird, die ist wirklich verblüffend. Das ist fast schon ein Grund, Timber einen Platz in den Pop-Geschichtsbüchern einzuräumen. – Wenn da nicht schon vor fast 20 Jahren die Rednex gewesen wären.




Freitag, 29. November 2013

Sido Feat. Mark Forster: Einer dieser Steine

Oh Mann, was ist bloß mit dem deutschen Gangsta-Rap los. Kein Ghetto mehr, kein Drogen-Nutten-Koks-Hype mehr, nich mal mehr richtig Bling Bling macht es. Da müssen sich doch die ganzen harten Jungs jetzt echt ziemlich Scheiße fühlen, dass einer ihrer großen Helden so einen Weichei-Song veröffentlicht. Ist das nicht Verrat?

Wahrscheinlich nicht. Die coolen Kerle vom Block haben ja immer irgendeine Erklärung parat. Muss auch nicht logisch oder stimmig sein: Sido, der nutzt jetzt das System aus. Der ist gut im Geschäft und warum soll er sich auch die Kohle durch die Lappen gehen lassen, wenn sie ihm quasi mit der goldenen Schippe ins Haus getragen wird? - Trotzdem würde mich irgendwie schon interessieren, was Sidos Freund Bushido zu dem echt romantischen Liebessong sagt, den sein Kumpel in Vorbereitung auf sein Album 30-11-80 auf die Menschheit losgelassen hat.

Mein erster Reflex war (da hatte ich noch keinen Ton gehört): Der macht’s jetzt auch mit jedem! Stephan Remmler - das ist Trash, 77 x ironisch gebrochen und völliger Scheiß, is also halbwegs OK. Mario Barth - mindestens das gleiche, dazu aber noch 10 Portionen dümmer. Adel Tawil – da wurde es schon kritisch. Immerhin gibt der sich als Person mit Migrationshintergrund ganz gern auch als einer aus, der es aus eigener Kraft von ganz unten aus den miesen Verhältnissen bis zum Pophimmel gebracht hat. Da sind schon noch Parallelen vorhanden. Aber was verbindet Sido eigentlich mit so einem Hipster-Liedermacher wie Mark Forster? – Kann eigentlich nur die naiv-kindliche Weigerung sein, erwachsen zu werden. Das soll ja ein Merkmal der Hipster sein – hab’ ich in einem leider gar nicht so schlauen Magazin gelesen.

Nun versteh’ ich nicht viel von Hipstern. Und wahrscheinlich lehnt Mark Forster diese Einordnung auch zurecht ab. Bedeutet ja weiter nichts, als dass man eher altmodisch-hässliche Klamotten und große Hornbrillen trägt. Das allerdings mit Stolz bis Arroganz. – Will Sido jetzt eigentlich als so einer angesehen werden? Immerhin, noch läuft Hipstertum unter Subkultur-Phänomen. Könnte ja sein, dass Sido mit seinem UNIVERSAL-Deal doch ein bisschen kalte Füße gekriegt hat und damit zeigen will: Hey, ich hab mich nicht kaufen lassen, ich bin immer noch ich selbst. Könnte sein, oder?

Vielleicht ist es aber einfach nur die Lust am Quatsch machen. Sido meint eigentlich gar nichts ernst. Er ist gleichzeitig harter Rapper, der gern in Talkshows rumpöbelt, und liebevoller Papa. Er steht zu seiner schweren Kindheit und Jugend im Neubauviertel, aber gleichzeitig erzählt er auch gern mal, dass er das eine oder andere mal schon ziemlichen Mist gebaut hat. Alles würde er so wahrscheinlich nicht noch mal amchen. Er ist immer noch angesehen in der Szene und treibt sich mit GENETIKK und B-Tight und wie sie alle heißen rum, aber er unterstützt auch junge Singer Songwriter indem er mit ihnen zusammenarbeitet. Äußerlich sieht er durchaus aus wie ein biederer Deutschlehrer. Aber wenn er die Ärmel hochkrempelt, dann kommen seine Tattoos zum Vorschein. Sido spielt einfach gern. Mit Identitäten. Mit uns. Was mich zu der Behauptung bringt, Sido ist mindestens das, was Lady Gaga permanent versucht zu sein: Einer, der wirklich begriffen hat wie Pop und Massenhype funktioniert. Und das gnadenlos einsetzt. Immer ganz viele Interpretationsfolien schön mitgeliefert. Und wahrscheinlich sitzt er zu Hause vor seiner Flasche Bier und lacht sich halb tot über all die Idioten, die sich den Kopf über ihn zerbrechen.

Nun, dann hat er mit diesem Textgewurschtel auch etwas, das ihn vermutlich eher zum Lachen bringt. Is ja auch schön. Im Grunde ist er ein lustiger Bursche, dieser Sido. Schade finde ich nur, dass er nicht einfach bei seinem Spaß bleiben kann, sondern manchmal – oder doch auch eher häufiger – wirklich ganz schön verquere Sachen von sich gibt. Da fällt’s mir eher schwer, so eine Liebesballade mit Ewigkeitsschwüren überhaupt irgendwie anzunehmen. Das funktioniert nicht mal als romantisches Märchen für mich.

Die meisten Fans stört das alles weniger. In den youtube-Kommentaren wird jedenfalls fleißig diskutiert, ob Sido nun der beste deutschsprachige Rapper aller Zeiten ist oder nicht. Sogar das hat er geschafft. Isser wahrscheinlich doch der geniale Master des Pop. – Irgendwie auch schade.






Freitag, 22. November 2013

Miley Cyrus: Wrecking Ball

Ist Miley Cyrus tatsächlich ein Star? Glaubt man dem Mediendschungel: Ja. Schaut man sich die Verkaufszahlen an, dann eher: Nein. Denn so einen richtigen durchschlagenden Hit gab es von ihr noch gar nicht. Und bis vor zwei Wochen, als sie bei Herrn Lanz in Wetten dass…!? auftreten durfte, zuckten vermutlich alle unter 18-jährigen eher mit den Schultern, wenn sie den Namen hörten. Und dabei gehört Miley Cyrus in Nordamerika zu den Ultra-Top-Verdienerinnen des Show-Biz. Sogar schon seit Jahren.

2007 startete ihr Ruhm mit der Fernsehserie Hannah Montana in der sie die Titelfigur verkörperte. Laut wikipedia war diese Serie auch die mit den höchsten Einschaltquoten des Disney Chanels überhaupt. Auch in Deutschland waren die 11- bis 14-jährigen Mädchen gern von Hannah Montana angetan. Alle anderen ließ die Serie und die Figur eher kalt.

Dank doch recht kalter Vermarktung durch ihren Vater Billy Ray Cyrus (immerhin auch selbst mal als Chart-Act mit Achy Breaky Heart unterwegs gewesen) und die Maschinerie des Disney-Konzerns wurde aus Miley Cyrus tatsächlich ein überaus erfolgreiches Produkt gemacht. Freilich vor allem in der für sie vorgesehenen Nische der Teenie-Mädels. Umsatz hat das dennoch ordentlich gebracht.

Um 2010, die letzte Staffel zu Hannah Montana war gerade abgedreht, begann Miley Cyrus unter ihrem eigenen Namen Musik zu veröffentlichen. Der Stil war tatsächlich sehr anders im Vergleich zum Hannah-Montana-Highschool-Rock. Pop war nunmehr angesagt. Mit klarem Fokus auf die Tanzflächen. Denn klar war, mit nunmehr 18 Jahren würde die Teen-Star-Nummer nicht mehr lange laufen können.

Der Image-Wechsel war nicht einfach. Einige der Kiddies blieben ihr wohl weiterhin treu, ein paar neue Freunde und Fans dürfte sie gefunden haben. Besonders ihre doch tendenziell eher aufreizend, laszive Inszenierung dürfte ihr auch ein paar männliche Käufer gebracht haben. Aber ganz so durchschlagend war es dann doch nicht mit dem Erfolg.

Miley und ihr Papa fielen jedoch nicht in Panik sondern arbeiteten einfach beharrlich weiter. The Yellow-Press hatte sie ohnehin schon als einen ihrer Lieblinge ausgemacht: Miley hier, Miley da. Mal etwas mehr, wal etwas weniger – immer aber gern genommen für einen (an den Haaren herbeigezogenen) Skandal. Irgendwann hatte also jeder und jede mal den Namen gelesen und wusste ungefähr, wohin dieser zu stecken war.

Und dann kam also in diesem Jahr im Oktober das Album Bangerz. Und mit diesem auch der wirklich große Erfolg als Solo-Künstlerin unter eigenem Namen. Nr.1 in den USA, in Großbritannien, Irland und in Norwegen, im Rest von Europa Top 5 mindestens - (fast) nur in Deutschland blieb mit Nr.9 der wirklich große Durchbruch irgendwie verwehrt.

Dann kam Markus Lanz. Und dann war auch plötzlich die Presse voll mit Miley hier und da. Durchgängige Meinung: Miley Cyrus - das ist der Popstar für die 2010er. Die Musik ... nunja, wohl doch eher durchschnittlich, aber was interessiert bei einem Star schon die Musik? (Ähem - der Hype um Lady Gaga lässt grüßen.)

Nach dem Auftritt dann aber doch: Wrecking Ball mutiert zum Verkaufshit. Erstmals findet man den Namen Miley Cyrus wirklich in den Listen der angesagtesten Schlager ganz oben. Na, da hat sich doch der Aufwand gelohnt.

Ganz ohne ätzenden Hohn: Wrecking Ball ist tatsächlich bei aller Durchschnittlichkeit, die man wohl nicht abstreiten kann, ein ordentliches Pop-Stück. Kraftvoll, mit einer ins Ohr gehenden Melodie, emotionsgeschwängert, plus einem Text, der auch was mit meinen Erfahrungen und Gefühlen zu tun haben könnte – und dazu Miley's Interpretation, die tatsächlich Platz für Gefühl lässt und deutlich authentischer daherkommt als die Dauerüberanstrengung einer Rihanna oder Überinszenierung der La Gaga. Ich würde sagen, die 21-jährige hat ihre Hausaufgaben gemacht und schafft den Sprung vom Teenie-Niedlich-Girl zum Pop-Act. Eventuell sogar zu einem, der selbst ein bisschen mitbestimmt, was da mit ihr passiert. Die Skandale, die gern um sie herum aufgebauscht werden, die hat sie nämlich fast immer selber forciert. Das ist nicht so schlecht. Vor allem, weil es sogar funktioniert, wenn sie sich einfach mal nicht in den Vordergrund drängt wie bei der Bambi-Verleihung. Würden sich das andere Medienhysterische trauen?

Wenn Miley Cyrus zukünftig ernsthaft die bestimmende Figur im Business werden könnte, dann wäre es um den Pop gar nicht so schlecht bestellt. Ich hab aber immer noch das Gefühl, dass die eher blutleeren, dafür aber umso lauteren Synthetik-Stars, erfolgreicher um Aufmerksamkeit buhlen und bei der willfährigen Masse mehr Anklang finden. Schade.

Freitag, 15. November 2013

EMINEM FT. Rihanna The Monster



Es gab eine Zeit, da schien der klassische HipHop sich gnadenlos selbst überholt zu haben, quasi tot gelaufen in immer den selben Ausdrucksformen. Das ist noch gar nicht so lang her – sechs oder sieben Jahre vielleicht. Dann gab es sehr spannende Weiterentwicklungen und Fusionen: von Grime bis hin zu Rap über Electro-Tracks oder gar reingemogelt in niedliche Popsongs. Und dann kehrte der Master zurück. 2010 katapultierte sich EMINEM zurück ins Bewusstsein der Menschen. An der Seite hatte er Rihanna und mit ihr zusammen landete er einen Klassiker: Love The Way You Lie. - Das Unglaubliche an diesem Hit war, dass er so unfassbar zeitlos daher kam. Er klang genau so als wäre er zehn Jahre zuvor schon aufgenommen worden und jetzt in einer verstaubten Schublade wiederentdeckt worden. Ein Beispiel der mittlerweile massiv grassierenden Atemporalität war das bereits.

Heute, drei Jahre später, ist dieser Begriff, diese Haltung noch viel ausgeprägter. Und deshalb kann EMINEM tatsächlich The Marshall Mathers LP II auf den Markt bringen, 13 Jahre nachdem Version 1 zum globalen Millionenseller geworden war. Warum er so lange damit gewartet hat, ist gar nicht richtig klar. Denn die Fortsetzung ist genau das: eine Fortsetzung. Keine Weiterentwicklung, kein überraschendes Update. Vielleicht eine Rückschau der Art: Was ich damals vergaß zu sagen.

Und so ist auch die vierte Single des Albums, The Monster, kein wahnsinnig aufregendes Stück mit den allerletzten Produktionstricks oder Soundexperimenten – es ist das komplette Gegenteil: erwartbarer Sound, klassische Rhymes, Rihanna wie wir sie von gefühlten 1000 anderen Stücken kennen - im besten Falle nenne ich so etwas OldSchool.

Warum dieser Sound dann immer noch so erfolgreich ist, liegt vielleicht auch daran, dass die vor 15 Jahren jungen Menschen zwar älter geworden sind, sich aber nicht so fühlen und auch nicht so benehmen. Sie kaufen immer noch Musik – jetzt haben sie ja sogar richtig Geld um sich auch wirklich eine physische CD zuzulegen. Das mit dem illegalen Download und den mp3s, das ist was für die Kids. Und klar stehen sie immer noch auf den Sound von früher. Je originaler umso besser. Denn die Zeit der Jugend, das war doch die beste Zeit ...

Mit dieser Einstellung sind die Konsumenten recht nah an ihrem Idol dran. Denn mit The Monster schaut EMINEM ein bisschen auf seine Karriere und resümiert, was da so in den letzten 15 Jahren passiert ist. Allerdings fällt diese Zusammenfassung eher ernüchternd aus. Der Ruhm und das Geld haben ihm nicht unbedingt Glück und Zufriedenheit gebracht. Stattdessen durfte er auch die negativen Seiten des Startums kosten: Kein Privatleben mehr, ständiger Erfolgsdruck und keine Chance auf ein Zurück. Das kann schon ordentlich verrückt machen.

Vielleicht ist das die Geschichte, in der sich die etwas älteren Musikkäufer wiederfinden. Auch sie haben mittlerweile ein geregeltes Leben, in dem sie funktionieren müssen. Auch sie fühlen sich zerrissen zwischen dem was sie gern wären und dem was sie doch täglich erfüllen müssen. Und der Luxus, den sie als Ausgleich konsumieren können, der ist dann doch nicht alles.

So ist sie also, die Welt. Ungerecht und böse wie eh und je. Und man kann nichts dagegen tun – Selbstmitleid ist das Gefühl, das dieser Haltung entspricht. Und das ist nicht weit von dem entfernt, was auch vor 15 Jahren schon Grundkonsens war. Ich komme aus harten Verhältnissen, niemand hat mir etwas geschenkt, ich musste immer für alles kämpfen, ich musste mich durchsetzen. Damals, da war die Haltung noch sehr viel kämpferischer, da hieß es eben auch: Stellt Euch mir nicht in den Weg, ich haue drauf, denn ich will raus aus diesem Dreck hier. - 2013, da herrscht dann eher Resignation vor. Vielleicht gibt es noch einen Funken Hoffnung. Vielleicht werde ich doch eines Tages ein Leben führen, das mich glücklich macht. Aber diese Hoffnung ist nicht sehr groß.

Hat sich also doch was getan in 13 Jahren. Wenn auch nichts, was ich eine positive Entwicklung nennen würde. Was mich irgendwie auch zu dem Verdacht bringt, dass EMINEM und seine Fans auch in weiteren 15 Jahren nicht wirklich weiter gekommen sein werden. Auch dann wird es vor allem darum gehen, was die Verhältnisse mit einem anstellen. Auch dann wird es heißen: Ich bin schon ein ziemlich armes Schwein. Glück haben eher die anderen. Zumindest aber wird wohl auch dann noch ordentlich Aufmerksamkeit und Erfolg fließen bei diesen Ergüssen.

Sonntag, 10. November 2013

Adel Tawil: Lieder

Ich gebe zu, ich habe große Schwierigkeiten mit Adel Tawil. Warum? – Weil er mir häufig was von seinem Glauben erzählen will, oft schön ummäntelt, damit ich es nicht gleich merke, aber ehrlich, auf solche Missionarsnummern steh ich gar nicht. Also hatte ich große Angst vor der neuen Single von Adel Tawil. Als ich dann das Cover der Promo-Kopie sah, da wurde meine Lust auf das Lied nicht größer. Dann hörte ich den Titel und – doch, es macht schon Spaß die Zitate zu errätseln, an große (oder auch kleine) Zeiten erinnert zu werden. Da zieht dann auf einmal ein Stück Popgeschichte vorbei – und vermutlich wird dieser Song ja auch zur Geschichte werden.

Und da sind wir dann auch schon bei dem Dilemma des aktuellen Pops. Er bezieht sich irgendwie nur noch auf sich selbst. Mit allem anderen hat er so gut wie gar nichts mehr zu tun. Die eine oder der andere behauptet das zwar immer noch, aber die Verbindungen zu Gesellschaft, zu Lebensrealität, zu technischen Entwicklungen werden immer sporadischer und zufälliger. Selbst der Draht zu den Medien (ich mein jetzt sowas wie Rundfunkanstalten und Verlage) funktioniert grad mal noch in Einzelfällen. Ja, es gibt noch den Hit, der durch die WM-Übertragung erst zu einem wird. Und wenn Wetten dass…? Miley Cyrus einlädt, dann wird ihre Single sicher in der darauffolgenden Woche gut über die digitalen und realen Ladentische gehen. Aber die komplette Breite dessen was sich in den Charts tummelt wird in keinem wirklichen Mainstreamradio abgebildet. Und im TV schon gar nicht.

Vielleicht gibt es an diesem Zustand nichts zu bejammern. Vielleicht war das ja bereits ab dem Punkt so, als junge Menschen keinen Bock mehr hatten, den Alten zu gefallen, und deshalb einfach die Musik machten, die ihnen entsprach – also im Grunde schon immer. Dennoch habe ich das Gefühl, dass die Hits in den 80ern irgendwie präsenter überall waren. Als Nena ihre 99 Luftballons auf die Reise schickte, da konnte den so gut wie jeder mitsingen. Egal ob ich das Lied nun toll fand oder nicht. Oder so ein Gassenhauer wie Maid Of Orleans von OMD, der war vielleicht als Name, als Titel kein großer Begriff, aber zwei Takte genügten und alle schunkelten mit. Frag heute mal jemand zufällig Ausgewählten auf der Straße nach – zum Beispiel Klingande. Oder auch nach Robin Thicke. Grad mal Lady Gaga schafft es noch, bei fast allen als Name etwas auszulösen.

Adel Tawil hat insgesamt ganz gute Karten zu denen zu gehören, die etwas breiter bekannt sind. Vielleicht ja auch nur als Gesicht von ich + ich. Aber mit seinen unglaublich radiokompatiblen Hits hat er es schon zu einigen Klassikern gebracht. Klassiker im Sinne: der Titel beginnt und die Hälfte der Leute im Raum kann irgendwie mitsummen. Insofern muss man ihn vermutlich doch auch als ernstzunehmenden Künstler einstufen. Das, was uns dieser Künstler aber mitgeben will, ist schnell erzählt: er will halt nur ein paar Lieder singen. Lieder, die zum Leben gehören, die Begleitung sind. Aber zu viel an Nachdenken oder Tiefe sollten sie wahrscheinlich nicht haben. Das stört dann eventuell recht schnell. Dass in Lieder die Band EMF auftaucht ist da schon ein kleines Wunder. Da hat sich Herr Tawil ordenltich was getraut.

Und schwups sind wir beim zweiten auffälligen Merkmal der neuen Single. Adel Tawil kramt in seinem Text nämlich eine ganze Menge 80er Jahre Hits aus. Warum eigentlich? Purple Rain war ein Hit, da war er gerade mal 6 Jahre alt. Eventuell hat Adel in diesem zarten Alter immer die Musik seiner Eltern hören müssen und deshalb ist dieser Titel verbunden mit warmen Kindheitserinnerungen. Eventuell war Purple Rain tatsächlich auch so omnipräsent, dass er schon als 6-jähriger nicht dran vorbei kam. Oder – und das find ich dann durchaus eine bedenkliche Geschichte – er hat den Titel später erst kennen gelernt. In den 90ern – als er ein Teen war. Das ist ja ein Alter, in dem es bei Musik um etwas ganz Existentielles geht. Nirvana dürfte er also bewusst als Lebensphilosophie aufgesogen haben. Allerdings hat dieser Einfluss nicht so wahnsinnig viele Spuren hinterlassen. Eher war dieser Soundbrei aus Nirvana, Whitney Houston, Prince und Michael Jackson Teil der immerwährenden Dauerbeschallung mit den größten Hits der 80er und 90er – das gab es ja damals leider auch schon. Ständig präsent und durch die ewige Widerholung leider auch zur Belanglosigkeit totgedudelt (wenn die jeweiligen Titel nicht vorher schon belanglos waren).

Das ist nun also die Geschichte, die uns Adel Tawil mitgibt: Popmusik ist immer präsent, ist immer dabei. Das, was diese Musik mit uns machen kann, das bleibt allerdings sein Geheimnis. Das Zitat um des Zitat willens und dann widerholt wie ein Mantra – das löst im besten Falle hübsche individuelle Erinnerungen bei den 40-jährigen aus. Die heute Jugendlichen, die stehen allerdings eher vor leeren Worthülsen. Das kann man natürlich auch als Stärke sehen: eine Folie, die frei ist für jegliche Interpretationen. Ein Song, der also erstmal jeden erreichen kann. Allerdings ist es damit fast nicht viel mehr als ein weißes Blatt. Wenn ich also diesen Song nicht zufällig in einer Situation höre, die für mich bedeutend ist, dann ist eben dieses Lied auch nichts, was in mir etwas auslöst. Wenn ich alle meine, dann meine ich eigentlich auch keinen. – Das muss man als Künstler ja auch erstmal wollen.






Freitag, 1. November 2013

Milky Chance: Stolen Dance

Nachdem ich in den vergangenen Wochen hier ordentlich abgemeckert habe (aber dazu bin ich ja auch angetreten), muss ich mir heute vielleicht mal ein wenig Mühe geben und auch ein paar positive Dinge von mir geben. Das ist nicht ganz einfach, aber doch, bei Milky Chance geht das schon. Obwohl ich ganz ganz ehrlich zuallererst mal gedacht habe: ach Mensch, warum machen es sich diese jungen Menschen heutzutage nur so schwer? Was ist passiert, dass sie alle so weltfremd melancholisch umher rennen, sich irgendwie fremd fühlen und gar nicht recht das Leben genießen können? - Und dann versuche ich mich zu erinnern, wie das damals war, als ich so gerade mal 17 oder 18 war und .... huch, ich war ja genauso: verträumt, irgendwie desillusioniert und immer in dem Gefühl, ganz allein zu sein, niemand versteht mich - naja vielleicht eine einzige Person, aber die zu finden wird richtig richtig schwierig. Romantiker pur!

Und dieses Lebensgefühl beherrscht also eine ganze Menge junger Menschen auch im Jahr 2013. Und noch mehr Menschen (auch ältere) finden das, was daraus entsteht schön. Leben wir also in einer neuen Romantik-Hochsaison?

Wenn wir uns mal die erfolgreichen Hits der letzten Monate anschauen, dann fällt schon ein ordentlicher Hang zu romantischen Weltsichten auf: Klingande, James Blunt, Passenger, Lana del Rey die Country- und Folk-Welle. Romantik hier vor allem begriffen als der Gegenentwurf zur Realität. Der Wunschtraum, der Glücksmoment, das schöne Gefühl, es soll festgehalten und konserviert werden. Hier soll sich nichts ändern, denn jede Veränderung bedroht nur den IST-Zustand oder eben den Traum.

Im 19. Jahrhundert, da war die Romantik zu verstehen als eine Reaktion auf das immer schneller werdende Leben, auf die Industrialisierung und Mechanisierung des Lebens. Die deutlichen Veränderungen brachten einen Verlust des Bekannten und Vertrauten. Das Zuhause, die Heimat schienen gefährdet oder gar verloren. Diese Erfahrung und die starren herrschenden Formen ließen eine Reihe von Künstlern nach einem Ausweg suchen: in der ungebändigten Natur, der einmaligen, unverfälschten Liebe, dem Gefühl als einzigem Barometer für Echtheit und Wahrheit. Es war auch die Zeit der sich beginnenden Individualisierung der Gesellschaft. Goethe's Werther als der an der Wirklichkeit Zerbrechende, denn für seine unkonventionelle, individuelle Zuneigung gibt es keine Chance.

Auch heute wird die Welt immer schneller, immer technisierter, immer unübersichtlicher. Im Grunde ist es also kein Wunder, dass die Menschen auf dieser Welt mit einer romantischen Sicht darauf reagieren. Anders aber als vor 200 Jahren sind die Stilmittel heute alles andere als neu oder besonders individuell. Damals erfanden die Überforderten eine neue Sprache, sie warfen Konventionen der Komposition und des Textens über Bord. Sie verunsicherten auch ganz gehörig die Gesellschaft. Selbst die New Romantics in den frühen 80ern zelebrierten mit ihrem eiskalten Synthie-Pop eine neue Ästhetik. Heute ist das, was Klingande oder James Morrison oder Passenger in Reaktion auf den sie überfordernden Alltag anbieten eher altbekannte Antworte und Verweise. Sie kuscheln sich ein in Erinnerungen an eine Welt wie sie mal war. Ich könnte mir vorstellen, dass das nicht wirklich zu neuen Ergebnissen führt oder besonders viel bewirkt. Die Entwicklung lässt sich vermutlich nicht mehr zurück drehen.

Und nun komme ich doch dazu, die beiden Jungs von Milky Chance zu kritisieren. Denn auch ihr Sound ist wirklich seit gut anderthalb Jahren gehörig massenkonform: Wankelmut, andhim, in gewisser Weise auch Klingande oder Klangkarussell machen genau dasselbe. Und klingen auch noch ganz ganz ähnlich. Das ist natürlich alles nicht schlimm. Wenn dieser soft tuckernde, elektronische Wohlfühlsound gerade das Lebensgefühl vieler Menschen repräsentiert, nun, dann soll er auch benutzt und eingesetzt werden. Ich kann glaub' ich noch ganz gut drauf. Aber sicher nicht mehr lange.

Also genießen wir so lang es noch geht diesen Song. Denn das was er uns anbietet ist nicht nur schön und romantisch in Höchstform. Es ist im Gegensatz zumindest zu Klingande und Sonnentanz auch wesentlich zeitgemäßer und moderner. Sicher, Video-Überblendungen sind seit Lana del Rey auch ein ganz ordentlich akzeptiertes Stilmittel, aber immerhin visualisieren sie damit auch die Flüchtigkeit und Vielschichtigkeit von Erinnerungen. Den peinlichen Affenbrotbaum im Video - den muss man ja nicht unbedingt anschauen. Vielleicht ist ja auch genau das das Neue an Milky Chance: sie haben nicht mal Angst vor biederer Sentimentalität.

Freitag, 25. Oktober 2013

AVICII: Hey Brother

Allen Retrowellen und Hippie-Attacken zum Trotz: DJs sind offenbar immer noch die wahren Superstars der Stunde. Hatten wir uns gerade daran gewöhnt, dass Mr. David Guetta mit jeder Veröffentlichung Massenverzückung auslöst – egal wie langweilig und gleichartig die Produktion klingt – so ist es nun der schwedische AVICII, der nur bei Ankündigung einer neuen Single für Anstürme auf Download-Portale sorgt. So aktuell zu beobachten bei seinem Track Hey Brother, den er nach dem Sommerhit Wake Me Up! als dritte Auskopplung aus seinem Album True ins Rennen schickt. Die offizielle Veröffentlichung ist vorgesehen für Mitte November, aber das hindert natürlich niemanden bereits jetzt das Album zu plündern und eben nur die Einzelsongs zu laden. Bereits zur Veröffentlichung des Albums schafften es ja fünf Titel gleichzeitig in die Verkaufscharts. – Das ist zwar immer noch ein wenig überschaubarer als vor zwei Jahren während des großen David-Guetta-Hypes, beachtlich ist es allemal.

Nun also Hey Brother. Was begeistert die mehrheitlich jugendliche Anhängerschaft an diesem Titel nun eigentlich? – Klar, es klingt zunächst ähnlich dem großen Vorgänger. Sehr countryesk, wahrscheinlich sogar noch mehr als Wake Me Up!, die große Freiheit also, das unbändige Leben irgendwo in der Prärie – und am besten mindestens 1000 PS unterm Sitz. Dann erhält das Ganze durch die Hookline, den Ohoho-Gesang, noch eine volkstümliche Note, die am Ende durch die Fanfaren, welche die Melodie aufnehmen noch verstärkt wird. Es ist sehr allgemeintaugliche Schunkelmucke. Vor zehn, fünfzehn Jahren kam so etwas von Rednex, die waren auch aus Schweden und ebenfalls enorm erfolgreich. Die weiten Tundren in Skandinavien scheinen eine enorme Inspirationsquelle zu sein. Und da sich Kälte ganz gut mit Alkohol bekämpfen lässt, verwundert es auch nicht, dass diese Musik gut auf jede Après-Ski-Party passt. In dem Moment, da die Droge anfängt meinen Verstand zu benebeln, da lässt es sich gut mit den anderen an diesem seltsamen Ort feiern, in den Armen liegen und wahlweise auch grölen.

Dass das Gehirn tatsächlich droht in den OFF-Modus zu rutschen zeigt ein kurzer Blick auf die Lyrics: ''Hey Sister, Know That Water's Sweet But Blood Is Thicker. - If The Sky Comes Falling Down, For You There's Nothing In This World I Wouldn't Do'' – das ist Mafia- und Blut-und-Boden-Romantik pur. Die Familie als das Einzige, was wirklich zählt. Niemals werde ich meine Brüder und Schwester enttäuschen (vielleicht kann man hier Brüder und Schwester auch ein wenig weiter verstehen - so als Seelenverwandte, oder so). Egal was passiert, ihr könnt euch auf mich verlassen. Und umgekehrt natürlich genauso.

Es ist natürlich verständlich, dass die Sehnsucht nach solcher Sicherheit besteht. Wer kennt das nicht: allein in der Fremde, allein unter Menschen die man nicht kennt - das ist nicht immer ganz einfach. Die Angst wird allerdings auch wesentlich durch die Haltung genährt, wie ich mit Fremdem oder Unbekanntem umgehe. Nehme ich diese Herausforderungen an? Bin ich bereit, anderen zu helfen, wenn sie in Not sind? Oder mache ich lieber meine Grenzen zu? Und verschließe die Augen vor dem was vor meiner Haustür passiert?

Dass Familie als Wert wieder so stark werden würde - wer hätte das gedacht? Vor allem unter jungen Menschen. Bislang war es doch eher so, dass man sich als Jugendlicher und auch noch eine ganze Weile danach eher versucht abzugrenzen, eigene Wege zu gehen. Jetzt geht es offenbar eher darum das kuschelige Nest möglichst nicht aufzugeben. Oder wenigstens eine Tür offen zu halten um im Bedarfsfall unproblematisch zurückkehren zu können. Bloß kein Risiko eingehen.

Schade eigentlich – denn was da verloren geht ist auch klar: No risk no fun!





Freitag, 18. Oktober 2013

James Blunt: Bonfire Heart

Ich werde es wohl nicht mehr verstehen, was alle Welt an James Blunt findet. Genauso wenig wie ich verstehe, warum ausgerechnet Passenger (oder auch Marlon Roudette) den Soundtrack zu den 2010ern liefern sollen. Das hat natürlich ganz individuelle Gründe. Zum Beispiel finde ich die Stimme von James Blunt einfach nicht schön. Das kann und muss jede und jeder natürlich selbst empfinden.

Das was eher bedenklich ist ohne all das persönliche Trallalla, ist die Bildwelt zu dem Song, der ja zunächst als eine schöne Liebeserklärung daherkommt. Es sei dahin gestellt, dass diese Motorrad-Road-Story nur für eine gewisse Gruppe von Menschen das Non plus Ultra darstellt – geschenkt! Auch die Nummer mit Freude durch ein gemeinsames Foto, für ältere Menschen genauso wie für Kinder im Rollstuhl – alle sind meine Freunde ... für meine Begriffe ganz schön fett nach außen gezeigt , aber was soll’s, ist im Prinzip ein schöner Ansatz. Dass sich James Blunt hier so dezidiert als der Heilsbringer inszenieren muss ... er wird wissen warum sein Ego das nötig hat.
Wirklich fragwürdig wird es für mich zum Ende des Videos: Lagerfeuertanzen bei einer Hochzeit in Wild West-Kostümen. Das ist jetzt schon ordentlich traditionsbewusst. Wenn ich diese Cowboyhüte sehe, dann denke ich selten an ein modernes Leben. Das ist immer noch: der Mann gegen die Natur! Das ist auch immer noch – eingewanderte Europäer besiedeln ein Land und nehmen keine Rücksicht auf dort bereits lebende indigene Völker. Und wenn man sich die feiernde Runde im Video anschaut, dann ist die tatsächlich ordentlich weiß nordamerikanisch (oder europäisch). Hmm – so weit ist es dann also nicht her mit der Geschichtsbewältigung. Oder der gelebten Vielfalt.

Ja ja ich weiß, die sind doch alle ganz harmlos. Die wollen doch nur feiern. Eben – genau das ist der Punkt. Eigentlich sind es – wie ein Großteil der Gesellschaft – nur Menschen, die ein wenig Freude haben wollen. Nichts gegen einzuwenden. Aber leider tun sie das mit einem ziemlichen Allgemeingültigkeitsanspruch. Wenn ich mal auf solchen Festen bin – und leider kommt das dann doch immer wieder und viel zu häufig vor – dann dauert es nicht lange und ich werde aufgefordert mit herumzuhüpfen. Aber nun stehe ich gar nicht auf handgemachte Musik. Auch Country ist mir eher unangenehm. Es ist völlig in Ordnung wenn alle tanzen und feiern, ich trinke da lieber noch einen Schnaps und schau mir die Menge an. Das heißt ja nicht, dass ich mich dabei nicht wohl fühlen würde. Aber: Nee nee, das geht nicht, mach mal mit – alter Spielverderber!

Und das sind dann eben eher unangenehme Seiten an solchen Festen. Man gibt sich betont frei und unkompliziert, aber in Wirklichkeit gibt es feste Regeln, was Feiern ist und was nicht. Und da hört es eben auch auf, lustig oder ungefährlich zu sein. Eine andere Meinung wird einfach nicht akzeptiert. Wo Hochzeit oder Geburtstag drauf steht, da muss auch Polonaise, Wunderkerzen und Blumenstraußwerfen drin sein.

Und genau das höre ich plötzlich auch im Text: James Blunt erklärt mir, wie es geht glücklich zu sein. Ultimativ. Jemandem lange in die Augen sehen, oder Sterne angucken, loyal wie ein Soldat sein – bis zum Tod ... dann kann man die kalte Welt überwinden, dann kann man jemanden finden, der/die mit einem kleinen Fünkchen ein Feuer im Herzen entfacht. Und dann erlebt man die Liebe, wie sie James Blunt sie gerade erlebt. Und die ist ja ohnehin die größte von allen.

Nein – ich möchte niemandem dieses Gefühl kaputt machen. Es ist schön, wenn Menschen sich genau so fühlen, eine große Liebe erleben. Schlimm wird es nur, wenn Sie allen anderen auch noch permanent zeigen und erklären müssen wie viel Glück und Liebe sie empfinden. Und wie arm demzufolge alle anderen sind, die das nicht hingekriegt haben. Die kleinen Trottel, die. – Da möchte ich dann doch lieber draußen bleiben und nicht mit einbezogen werden in dieses unbändige Glücksfest. Ich geh dann mal einfach auf eine andere Party.




Freitag, 11. Oktober 2013

Klingande: Jubel



Die Neo-Hippies sind los! Endgültig.

Sie lieben lange Haare, ausgewaschene Klamotten, alte Autos, Federn im Ohr. Sie hangeln an Bäumen und schauen super gern stundenlang auf wilde Wiesen oder das weite Meer. Und immer wieder tauschen sie vielsagende Blicke aus, schon hab' ich das Gefühl, ja - die verstehen mich …

Anders als die Original-Hippies der späten 60er haben die Neo-Hippies 2013 aber überhaupt keine Ambition gesellschaftlich oder gar politisch etwas zu wollen. Ganz im Gegenteil – sie finden die Welt so wie sie läuft ganz in Ordnung. Der Sound, der das Wohlfühl-Ambiente schafft ist nämlich urbaner Lounge-House. Das ist Genuss und Selbstzufriedenheit pur. Im besten Fall gehört es in den Bereich Wellness: Mach' doch mal wieder Pause, gönn' dir was Gutes und besinne dich auf dich selbst. - Lifestyle also.




War ich vor einem Jahr über Klangkarussell's Sonnentanz noch einigermaßen verwundert und von der Abstrusität der Weltsicht fasziniert, so schaffen es die Nachahmer Klingande aus Nordfrankreich mit ihrem Jubel, das Ganze fast bis zur Unerträglichkeit zu steigern. Dass der Vorgänger dank seines Erfolgs in Großbritannien und einem Remix mit Gesangszusatz sich auch hierzulande ungebrochener Beliebtheit erfreut, macht das Ganze für mich noch erschreckender.

Allerdings liegt es recht unverborgen auf der Hand, warum solch eine Wohlfühl-Welt momentan so beliebt ist. Das Leben, die Gesellschaft, die komplette Welt ist so kompliziert geworden, so grausam und auch so technisiert-bürokratisch – da kann ich gar nicht mehr die Übersicht behalten. Da muss ich quasi ständig überfordert sein und scheitern. Hilft nur: Flucht ins Private. Und zwar konsequent. Am besten ist, sich gleich um gar nichts mehr zu kümmern. Reine, unverfälschte Natur: ein bisschen Sonne, ein bisschen Wasser und eine bunte Wiese ... schade nur, dass die auch schon gentechnisch verändert wurde. Aber das merkt man ja nicht. Lässt sich also ganz gut in dieser Traumwelt aushalten.

So verständlich diese Sehnsucht und auch diese Reaktion ist, so schlimm ist die konservativ-biedere Art wie sie sich manifestiert. Da gibt es nicht ein bisschen Differenz - die Protagonisten sind komplett weiße Mitteleuropäer, am liebsten sogar blond oder wenigstens dunkelblond. Und das im Jahr 2013! Da werden die Naturaufnahmen sofort zur unberührten Heimat – "Blut und Boden" sind nicht weit weg davon.

Was die Art des Miteinanders angeht, ist dieses ziemlich unschuldig aseptisch. Da gibt es trotz aller Freude und Euphorie nur ganz wenig Körperkontakt. Klar – Freunde sind wichtiger als (körperliche) Zuneigung. In der völligen Übersexualisierung unserer medialen Welt, wünsch' ich mir tatsächlich genau das: einfach mal eine Situation in der es nicht um Körper und Erotik und möglichst schnellen Sex geht.

Allerdings könnte sich hinter diesen Bildern auch eine Steigerung der Prüderie stecken, die schon mit Lila Wolken eher unangenehm auffiel. Ich habe immer noch Angst, dass mit dieser Verschämtheit auch ganz viel von dem wieder aktuell wird, was eben auch Ausgrenzung, Verschweigen und Wegschließen bedeutet. Darum machen sich Klingande und Klangkarussell aber keinen Kopf. Schade - sie hätten tatsächlich die Chance diese Welt zumindest ein klein wenig besser zu machen.

Sonntag, 6. Oktober 2013

Martin Garrix: Animals



Während alle Welt einem Tim Berg aka AVICII huldigt und diesen als neuen DJ-Gott feiert, hat sich nahezu unbemerkt ein Vertreter der nächsten Generation auf die Tanzflächen dieser Welt gebracht: Martin Garrix. Animals ist seine Hymne, die sich seit dem Sommer mehr und mehr durchsetzte mit einem Sound, der doch erstmal nicht sooo ungewöhnlich ist. Deshalb gab es anfangs auch ein wenig Verwirrung darüber, wer diesen Track denn nun veröffentlicht habe - zumindest ist das so der englischsprachigen Wikipedia zu entnehmen.

Da kommt also ein junger Bursche mit 17 Jahren auf die Idee, seinen Lieblingssound einfach genauso zu produzieren wie er es mag, etwas konsequenter, etwas weniger berechnend als die meisten bekannten Acts, er kann sich das als Nobody ja auch gut leisten - und schwupps wird das Ergebnis ein Hit. Und der Produzent wird ein wenig als Wunderkind gehandelt.



Die Geschichte klingt ein bisschen nach einer Vom-Tellerwäscher-zum-Millionär-Geschichte. Ob das Wunderkind nun der nächste große Superproducer aus Europa wird, das werden wir abwarten müssen. Wird Martin Garrix nach seinem europaweiten Erfolg von Animals noch so unvoreingenommen produzieren können? Wird er sich frei machen können vom Erwartungs- und Erfolgsdruck?

Für die Generation von Martin Garrix ist es ja ohnehin nicht einfach, ein eigenes Profil zu erarbeiten. Eventuell sogar noch ein unverwechselbares. Alles war irgendwie schonmal da. Und mit Ironie kommt man mittlerweile auch nicht mehr sehr weit. Rebellion? Wogegen denn noch? - Was bleibt ist vielleicht gerade mal noch die liebevolle Umarmung des bestehenden Lebens und der vorhandenen Verführungen oder dessen, was man sich so als spannend und einmalig vorstellt.

Martin Garrix würde sehr gern anonym feiern, gleichzeitig aber auch auf das Spießerleben scheißen. Er wär' gern gefährlich und unberechenbar. Irgendwie denkt er, dass er dadurch auch attraktiv und begehrt werden würde. Dass er das alles so wahrscheinlich nicht schaffen wird, ist ihm auch mit 17 schon klar. Aber träumen kann man ja. Und zu diesem Traum hat Martin Garrix einen hübschen Soundtrack geschrieben. Den auseinander zu nehmen ist eher mühsame Zeitverschwendung. Denn natürlich finden sich eine Menge Referenzen und Anleihen.

Müßig sind also solche Fragen wie: Gäbe es Animals ohne einen AVICII, ohne einen DJ Antoine, ohne Tiesto und Afrojack? – Natürlich nicht. Mark Fisher / k-punk hat das gerade ganz schön in einem Essay für W.I.R.E. - Abstrakt zusammengefasst (gibt es leider nicht online :-( ). Er schreibt dort von Atemporalität / Geschichtslosigkeit, welche die aktuelle Pop-Musik plagt.

Das Ganze ist an sich nicht schlimm. Man muss nicht ständig alles neu erfinden, das doch offenbar schon da ist und funktioniert? Natürlich ärgert mich irgendwann wenn sich sogenannte Künstler und Künstlerinnen komplett darauf ausruhen und keine eigenen Ideen entwickeln. Das Abarbeiten an Vorhandenem ohne dabei zur schnöden Kopie zu werden, das scheint momentan die große Herausforderung zu sein. Ich würde sagen, bei Martin Garrix sieht es im Moment nicht so schlecht aus, dass er das hinkriegt. Zumindest bei Animals ist das wohl der Fall.

Aufregen könnte ich mich an dieser Stelle höchstens darüber, dass die Rahmenbedingungen in Recht und Politik unserer Realität ordentlich hinterherhinken. Und lieber noch die kleinste Ähnlichkeit als kommerzielle Nutzung auslegen und unter Lizenzgebühr stellen … Vielleicht gehört ja Martin Garrix endlich zu der Generation, die diesem ganzen Humbug ein Ende setzt. Geschichtslos zu sein heißt ja irgendwie auch auf Vorhandenes zugreifen zu können ohne permanent nach Herkunft und Bedeutung fragen zu müssen. Könnte auch heißen, dass kulturelle Produktion nochmal ganz anders funktioniert. Bis dahin vergehen vermutlich noch ein paar Jahrzehnte.

Freitag, 27. September 2013

Jason Derulo Feat. 2 Chainz: Talk Dirty

Wenn ein Titel direkt von 0 auf die 1 in den Verkaufscharts springt, dann steht dahinter oft ein Medienereignis. Oder der Song ist unfassbar eingängig und infektiös. Erstes ist bei Talk Dirty von Jason Derulo Feat. 2 Chainz nicht der Fall. Beim zweiten bin ich mir noch nicht ganz sicher, aber so oft wie ich den Track jetzt schon gehört habe, scheint doch der Ohrwurm- und Spaßfaktor ordentlich hoch zu sein. Für Jason Derulo ist es auf alle Fälle ein gewagtes Stück, verlässt er doch altbekannte Soundgefilde und legt etwas mit Charakter vor. Vielleicht abgesehen von seiner Debutsingle Watcha Say Ende 2009 das erste Mal, dass er sich musikalisch was Eigenständiges traut.

Nun ist Herr Derulo deswegen nicht gleich der geniale Musiker und Neuerfinder eines Sounds, aber er weiß ganz gut die Zeichen der Zeit auszuwerten und für sich zu benutzen. In seiner sparsamen Instrumentierung setzt Talk Dirty auf eine kleine Strömung auf, die spätestens seit Conor Maynard’s Can’t Say No auch im Mainstream Aufmerksamkeit erlangen kann. Dann stellt sich bei den ersten knarzigen Bläsern auch so eine leichte Erinnerung an den Soundtrack zu The Great Gatsby ein. Wir plündern also ein bisschen dieses 20er Jahre Gefühl, aber nicht zu sehr – zeitgemäß soll es schon sein. Spätestens wenn die Bläser-Hookline einsetzt wird der Track tatsächlich irrsinnig. Ist das etwa Balkan-Sound? – Ja genau, ist es. Hier werden hübsch die Balkan Beat Box mit ihrem Track Hermetico ausgeschlachtet. Die sind ja seit gut fünf Jahren hochgefeiert und jeder Mensch mit Geschmack findet sie gut und hat mindestens irgendwo eine CD von ihnen stehen. Nun also darf das USamerikanisch-israelische Projekt auch richtig die Massen beglücken.



Die Mischung ist clever. Sie ist global zeitgemäß – das Video versucht ja dann auch ansatzweise ein bisschen auf international zu machen. Und hier könnte man schon in einen Jubelgesang ausbrechen: schöne, bunte Welt, Sprache und Kultur sind längst keine Hürden mehr, wir verstehen uns schon… Könnte man. Wäre da nicht gerade dieses genau konträr verlaufene, politische Ereignis des letzten Wochenendes gewesen. Da hat die deutsche Republik in Mehrheit gezeigt, dass da nicht viel mit bunt, international und modern ist. Da war es flächendeckend nur noch schwarz. Und ich krieg diese beiden Ereignisse gar nicht recht zusammen. Was ist das für eine Gesellschaft, die auf der einen Seite global, multikulturell abfeiert, ohne Angst vor Berührungen und Mischungen und auf der anderen Seite werden am liebsten alle Schotten dicht gemacht, Austausch bitte nur wenn er sich wirtschaftlich rechnet und das mit den anderen Kulturen und Traditionen, die sollten sich mal auch lieber an deutschen Gepflogenheiten orientieren …

Ja ich weiss schon, die Kids, die sich Musik kaufen, sind nicht interessiert an Politik und dürfen obendrein meist noch gar nicht wählen. Außerdem haben sich Popwelt und Politik ja bereits dermaßen voneinander entfernt, dass beides scheinbar nichts mehr miteinander zu tun hat. Ich glaub’ zwar, dass das kompletter Unsinn ist, denn gerade die Abwesenheit von jeglichem Gesellschaftsbezug im Mainstream ist hochpolitisch. Sie überlässt in ihrer Alles-egal-Haltung allen möglichen Freaks die Möglichkeit unser Leben (und unser Feiern) zu bestimmen, zu lenken oder wahlweise auch einzuschränken oder zu verbieten.

Vor einiger Zeit sagte mir eine 16jährige, ihr sei das doch völlig egal ob sie fremdbestimmt wäre oder nicht. Sie fände das sogar gut, wenn sie nicht ständig selber entscheiden und nachdenken müsse. Et voilá – willkommen in der schönen, neuen Welt. Jason Derulo spielt uns schon mal den Soundtrack dazu. Für völlig kritiklosen Konsum ist er mit seinen wirklich eindrucksvollen Choreographien und der übersteigerten Körperkult-Inszenierung ja bestens geeignet.






Freitag, 20. September 2013

Olly Murs: Dear Darlin'



Da musste ich mir doch soeben wirklich anhören, dass ZEDD ein unglaublich scharfsinniger und ungewöhnlicher Produzent sei. Das, was er mache, das klinge zwar wie Dancemusic, aber das wäre komplett etwas anderes. Schon allein die Texte … Glücklicherweise war ich schon genug betrunken um mich mit dem halbwüchsigen, jungen Mann nicht komplett in die Haare zu kriegen. Mag ja sein, dass einer Eurodance geil findet, aber deshalb so jemanden wie ZEDD gleich intellektuell zu überhöhen und für einmalig zu erklären, das führt doch wohl wirklich zu weit, oder?

Und heute sitze ich hier, lasse mir die aktuelle Single von Olly Murs um die Ohren hauen, bin einigermaßen fasziniert von der Leichtigkeit mit der dieser Song daherkommt und erwische mich dabei wie ich denke: Dieser Olly Murs, der schafft es ja wirklich Popmusik aus dieser Langweiler-Ecke rauszuholen …

Hoppla, großes Déja vu – bin ich jetzt eigentlich nicht viel besser als dieser gerade mal 20jährige, der in seiner überschwänglichen Begeisterung nicht mehr recht in der Lage ist, tatsächliche Unterschiede wahrzunehmen?

Also: Dear Darlin' ist ein mit Bedacht produziertes Stückchen Mainstream-Pop. Ganz bewusst so aufgenommen und abgemischt, dass es möglichst viele Musikkaufende erreicht und garantiert viel Umsatz macht. Absolut korrekt. Und damit unterscheidet es sich erstmal nicht von einer Menge anderem Zeug, was sich in den Charts aufhält. Chartsmusik ist ja schon seit Langem zu einem schlimmen Schimpfwort geworden.

Aber ich möchte Dear Darlin' an dieser Stelle tatsächlich etwas mehr Potenzial bescheinigen, zu einem Pop-Klassiker werden zu können. Also ein Charthit, der nicht zwangsläufig morgen schon vergessen sein muss. Auf schnellen Verkauf produziert – und dann in die Tonne gekloppt. Und warum denke ich das?

Zunächst mal erzählt Dear Darlin' eine ganz allgemeingültige Geschichte. Da haben sich zwei getrennt, irgendwas lief schief in der Beziehung, und nun ist sie da die Reue, der Schmerz, die Trauer. Der/die eine setzt sich hin und schreibt einen Brief oder einen Song. Jedenfalls etwas das Arbeit macht und mehr als 85 Zeichen benötigt. Ganz uncool also ein undigitales Medium. Und mit diesem wird dann tatsächlich ganz ehrlich beschrieben, wie es gerade innen drin aussieht. Und da ist nichts mehr von Stolz, keine Vorwürfe, auch kein Zweifel an der Reinheit dieser Gefühle. Da bereut wirklich jemand. Das ist ja in der allgemeinen Hipness und Selbstbezogenheit unserer Tage ein Zustand, der kaum noch vorkommt. Das ist an sich ja schon ordenltich Oldschool.

Das Ganze ist gepackt in eine Menge Geigen, Echo, Pianoklänge und sogar Glockengeläut. Da wird sich ganz breit im Gefühl gesuhlt. Komischerweise funktioniert das sogar mit dem unterlegten Rhythmus. Dieser Titel ist gar nicht die supertraurige Ballade. Das ist eine Hymne – eine Hymne an die Verlorene? Eine Hoffnung, dass diese Zeilen ankommen und alles was gewesen war, ungeschehen machen? Ein Stück Gewissheit über das wirklich Wichtige? Ein Beschluss für die Zukunft?

Das könnte alles mitschwingen in diesem Titel. Und ein bisschen ist es wie bei Romeo und Julia oder Edward und Bella – man kann super mittrauern und mitleiden und sich erinnert fühlen oder sogar genau in der gleichen Situation sein. Ein hübsches verzuckertes Pop-Märchen.

Die Stärke von Olly Murs besteht darin, dieses doch bekannte und schnöde Märchen so überzeugend zu erzählen und zu singen, dass es genügend Authentizität besitzt um unsere Gefühle anzusprechen. Er singt nicht einfach schön, es ist zu hören, dass er eben auch am Ende ist. Sogar stimmlich. Das sind nicht nur saubere Töne. Da könnte jetzt auch gleich die Stimme versagen. Da ist bei aller technischer Produktionsraffinesse noch ein wirkliches Stückchen Mensch drin. Ich glaube, das genau unterscheidet den Song von anderen. Es ist eben nicht nur ein glatt produzierter Pop-Titel. Es hat diesen winzigen Schuss von Persönlichkeit, um glaubhaft eine Geschichte zu erzählen. Oder ein Gefühl zu vermitteln. Und deshalb könnte der Titel auch in fünf oder zehn Jahren noch genauso funktionieren.







Freitag, 13. September 2013

Ellie Goulding: Burn



Es war vor gut einem Jahr, da erwischte mich Ellie Goulding mit ihrem Song Anything Could Happen völlig unvorbereitet. Diese sehnsuchtsvoll-romantische Hymne im eiskalten Synthie-Gewand entwickelte sich für mich zum Ohrwurm und ließ die Sängerin auf meine ganz persönliche Liste "Spannende Pop-Künstler_innen" wandern. Nicht, dass sie zuvor nicht schon sehr hübsche Veröffentlichungen vorgelegt hätte. Das Cover des Elton John-Klassikers Your Song zum Beispiel berührte mich zutiefst und ich war ein wenig erschrocken darüber, wie kitschig doch auch ich veranlagt bin. Starry Eyed war davor schon mindestens ein Aufhorchen wert für ungewöhnliche Effekte.

Kurz und gut: seit einem Jahr kam ich an Ellie Goulding auf keinen Fall mehr vorbei. Und das was ihr Album Halcyon bereit hielt war tatsächlich hörenswert und für eine Pop-Produktion der 2010er recht vielfältig. Allein die drei Singles Anything Could Happen, Lights und I Need Your Love zeigten ein hübsches Repertoire an Ausdrucksmöglichkeiten.

Und nun liegt zur Wiederveröffentlichung des Albums unter dem Titel Halcyon Days mit Burn neues Material vor. Mittlerweile ist Ellie Goulding ja tatsächlich zu so etwas wie einem Star geworden – zumindest die Anzahl der Remixe, Kollaborationen und Spaß-Coverversionen deutet auf einige Wichtigkeit hin. Und genau das ist auch ein wenig das Problem bei Burn. Es ist ein Titel, der hervorragend in das Repertoire von Ellie Goulding passt, mit dem stark am Euro-Dance orientierten Sound sogar eine weitere Facette abdeckt. Aber ganz ehrlich: Mir ist das schon beinahe zu viel an Staubsaugersound.



Sicher, Burn erzählt von diesen Momenten, in denen wir uns in der Lage fühlen alles zu erreichen, nicht zu stoppen zu sein – und die Welt, das Universum liegt vor uns und wartet nur darauf erobert zu werden. Ein Gefühl das sich auf guten Parties einstellt – vielleicht auch mit der gehörigen Portion entsprechender Drogen im Körper. Und so ist dieser hysterisch selbstverliebte Dancefloor-Sound eine passende akustische Entsprechung. Trotzdem: das Spannende an Ellie Gouldings Veröffentlichungen war doch meist ihr eigener, ein wenig abseitigere Zugriff auf Musik. Das war und ist gängiger Pop, auch tanzflächenkompatibel – aber eben immer auch ein Stück sperrig, ein winziges Momentchen lang ungewöhnlich. Bei Burn ist dieses Anders-Sein fast komplett ausgelöscht. Gerade noch ist es Ellie Gouldings prägnante Stimme, die daran erinnert, dass es sich hier nicht um eine Natalie Horler Version 8 handelt.

Knapp zwei Monate nach Veröffentlichung von Burn steht definitiv fest, dass dies Ellie Gouldings erfolgreichster Song ist. Die Mehrheit des musikkaufenden Publikums mag die gleichförmige Masseneuphorie. Ich wünsche mir, dass Ellie Goulding in Zukunft nicht zu oft in diesen Topf hineingreift.




Freitag, 6. September 2013

Flo Rida Feat. Pitbull: Can't Believe It



Erinnert sich noch jemand, wann Flo Rida den letzten coolen Track veröffentlicht hat? – Ok, Good Feeling war schon ein ordentlicher Ohrwurm. Aber das war ganz wesentlich den Anleihen bzw. der Vorlage von AVICII zu verdanken. Sonst kam ja von Flo Rida eher überproduzierter Kindergartenquatsch mit alberner Bildsprache. Mit Can’t Believe It ändert sich das schlagartig. Denn dieser Song ist wirklich verdammt cool.

Natürlich ist das Ganze – wie sollte es auch anders sein – sexistisch in Hochpotenz. Es reduziert Frauen auf Ärsche und macht sie auch sonst zu nichts anderem als Objekten der männlichen Lustbefriedigung. Sich daran abzuarbeiten ist im Falle von Flo Rida und seinem Steigbügelhalter Pitbull völlig sinnlos. Neu ist in dieser Machotour, dass Flo Rida sich seit langem mal wieder einer Atmosphäre und eines Sounds bemüht, der tatsächlich so sexualisiert daherkommt wie der Inhalt. Das ist ihm seit seinem Debut-Album Mail On Sunday von 2008 kaum mehr passiert. Besinnt sich da ein Pop-Artist auf das, was er tatsächlich kann und ist?

Nun muss man natürlich zugeben, dass ein Großteil der Coolness aus den schlauen Anleihen und Zitaten stammt die in größerer Anzahl Can't Believe It bevölkern. Das heißt, hier hat Flo Rida vor allem mal mit der Wahl der Produzenten ordentlich Glück gehabt. Diese benutzen ziemlich unverkrampft eine ganze Reihe von Erfolgsrezepten.

Zunächst mal bedient sich Can’t Believe it sehr frech einer Hookline / eines Riffs, dass wir fast haargenau so von den White Stripes kennen. Sich an einem Hit wie Seven Nation Army heranzumachen finde ich ziemlich gewagt. – Nun, das Publikum kann damit umgehen und findet’s offenbar sogar gut.



Referenz Nummer 2: Sexy Back von Justin Timberlake produziert von Timbaland. Auch hier ist es wesentlich mehr als die Hintergrundmurmelrufe, die tatsächlich 1:1 übernommen wurden. Die Art wie der Rhythmus in einen peitschenden Elektro-Funk verwandelt wurde ist ziemlich identisch.

Und schließlich entdeckt man auch einen hübschen Verweis auf Yellos Oh Yeah aus dem Jahr 1987.





Natürlich gibt es noch eine ganze Reihe mehr an Verweisen und direkten Zitaten – allein die Kombination der drei oben genannten ist eine ziemlich irrsinnige Mischung, die auch zeigt, dass Sampling und Remixing eine spannende, freudvolle und inspirierende Sache sein kann.

Und so wie sich der Sound durch die Jahrzehnte und Stile arbeitet, so bedient das Video einen Cut-and-Paste-Stil, der auch ein wenig an frühe Computergrafiken aus den 90ern erinnert. Die Regisseure Geremey & Georgie Legs zeigen damit, dass sie sehr genau die aktuellen Entwicklungen in Sachen Musikbebilderung studiert haben. Diplos Butter’s Theme macht nämlich genau dasselbe (und dreht es noch um einige Stufen weiter ins Extreme, was die tatsächlich neue Qualität ausmacht).


Flo Rida Feat. Pitbull – Cant’t Believe It


Diplo – Butter’s Theme

Der Vergleich der beiden Videos scheint mir spannend. Denn auch Diplo spart ja nicht mit Anzüglichkeiten und vor Sexualität strotzenden Wort- , Musik- und Bildspielchen. Im Gegensatz zu Flo Rida & Co. kommt er aber völlig ohne den Macho-Blick aus und ist alles andere als frauenverachtend. Da kann so mancher Pop-Star noch ein bisschen was lernen.

Zum Ende bringe ich hier mal noch einen aktuellen Track ins Spiel, der in Sachen Coolness locker mit Can’t Believe It mithält und den ich hier sicher in wenigen Wochen auch nochmal genauer abfeiern kann: Give It 2 U von Sexyfunk-Master Robin Thicke … haltet mal Ausschau danach.



Sonntag, 1. September 2013

Katy Perry: ROAR



Nun ist die Welt also wieder in Ordnung: Katy Perry kann doch noch Hits platzieren. Auch wenn es anfangs nicht danach aussah und der Start ihrer neuen Single Roar sogar weit hinter den Ergebnissen von Sean Paul’s Other Side Of Love zurückblieb. Nun ist sie also doch noch On Top gelandet, vor ihrem Bezwinger aus der Vorwoche und sogar noch vor Lady Gaga.

Aber was präsentiert uns der Star da nach doch gut zwei Jahren ohne wirklich großen Hit? Zunächst mal geht es ziemlich laut zu – der Titel suggeriert es ja schon. Hier wird nicht an Feinheiten gefeilt, hier geht es zur Sache. Und zwar mit Hammer und Amboss. Die Promotionmaschine läuft also auf Hochtouren: ein goldener Truck fährt durch halb Nordamerika, Teaser-Videos zum Album und zur Single werden auf youtube veröffentlicht - und Katy Perry versucht uns zu erzählen: Hier kommt eine neue, eine ganz andere Katy Perry. Vergesst Teenage Dream – it's time to become adult.

Viele dieser Geschichten vom Erwachsenwerden sind in der letzten Zeit eher peinlich gewesen: Robbie Williams zum Beispiel verklebt sich in rosarotem Candy-Brei, Sido kann sich nur noch an schöne Zeiten erinnern und halluziniert bräsig-dudelige Bilder im Kopf, Sean Paul kriegt's gleich gar nicht auf die Reihe … und Katy Perry? Nun ja – wenn laut Herumbrüllen und die dazugehörende Behauptung des Ich bedeutet, Erwachsen zu sein, dann ist sie wohl sehr nahe dran. Immerhin gibt es tatsächlich eine Phase, in der man erstmal lernen muss, zu sich selbst zu stehen, sein eigenes Ding zu machen, auf das Gerede der anderen zu pfeifen. Vielleicht ist das wirklich die Phase, in der ein Mensch erwachsen wird. Und vielleicht beginnt diese Phase heute wirklich erst mit Mitte bis Ende 20 – also genau das Alter in dem Katy Perry sich befindet.

So richtig überzeugt bin ich von Roar dennoch nicht. Es ist mir zu laut, zu sehr auf Selbstbehauptung gepocht – und dabei zu wenig eigenständig. Das, was Katy Perry da abliefert ist eben nicht der unverwechselbare und einmalige Song. Das ist ganz schnöder Alltagspop. Hat Berechtigung – klar. Aber P!NK macht das seit Jahren schon genauso und vermutlich sogar überzeugender. Nur Brüllen allein ergibt noch lange keine Identität. Da gehört dann eben auch dazu, sich nochmal etwas intensiver mit sich selbst auseinanderzusetzen und zu wissen, worin die eigenen Stärken bestehen.

Vielleicht kann sich Katy Perry – wenn sie denn wirklich eine ernstzunehmenden und erwachsene Künstlerin werden will - mal anschauen wie das Robin Thicke macht oder auch Daft Punk. Oder sie schaut sich die momentanen Meister des Älterwerdens, Depeche Mode, an. Aber eigentlich weiß ich gar nicht, ob ich so eine alte und ernste Katy Perry überhaupt will. Für mich ist ihr Einstandshit I Kissed A Girl nach wie vor einer der schönsten Pop-Momente des 21. Jahrhunderts. In seiner Naivität und Überraschung ist dieser Titel so echt und einmalig – da ist es mir völlig egal ob das jetzt Kinder-, Jugend- oder Erwachsenenmusik ist. Es ist einfach überzeugend. Diese Intensität kann ich bei Roar leider nicht finden.





Freitag, 23. August 2013

Sean Paul: Other Side Of Love



Jetzt ist also Sean Paul tatsächlich ein Superstar? – Oder wie kann ich mir das erklären, dass seine soeben neu veröffentlichte Single Other Side Of Love auf Anhieb der Verkaufshit ist? Wenn ein Stück derartig langweilig ist und trotzdem so gern gehört wird, dann darf man sich ruhigen Gewissens schon mal fragen, was genau in unserer Gesellschaft eigentlich los ist.

Zunächst mal besagen Statistiken, dass es sich bei Sean Paul explizit um Jugendmusik handelt. Soso. Ist jetzt nicht überraschend und bringt uns auch nicht weiter. Lustiger ist, dass die Seite Radiocharts.com neben der Kategorie Jugend auch noch eine Kategorie “Mainstream” anbietet. Und dort ist Other Side Of Love statt auf Platz 3 auf Rang 29 gelistet, Tendenz fallend. Jugendliche Musik ist also kein Mainstream. Nun, das ist ein Zustand, den wir ja im Medienbusiness seltsamerweise häufiger vorfinden. Jugendfernsehen? – Fehlanzeige. MTV bringt nur noch Zweitverwertungs-US-Reality-Quatsch ohne Bezug zu dem, was hier passiert. ZDF neo – das ist Fernsehen für 30jährige, die sich aufführen wie ihre Eltern. Wenn Jugend, dann Internet. Videoplattformhopping bestimmt das visuelle Dasein der 14 bis 26-jährigen.

Und wieso macht Sean Paul trotzdem so schlimme Musik? Ich vermute, weil er ziemlich genau den Leuten entspricht, die auch MTV und ZDF neo machen. Altgewordene Mittdreißiger (oder auch schon ein bisschen älter), die sich saucool vorkommen während sie mit ihren Technik-Spielzeugen herumwurschteln. Die fühlen sich noch derartig jung und innovativ, dass sie gar nicht merken, wie die nächste Generation schon komplett an anderen Dingen dran ist. Natürlich wissen diese saucoolen Medienmenschen, diese Jugendlichen der 90er und frühen 200er schon noch, wie man Massenabsatz erzeugt. Man nehme ein bisschen Liebesgeschichtenromantik, gern auch versetzt mit Trennungsgefühlen und Hass, ist ja bei den sensiblen Heranwachsenden alles nicht so einfach, kennt man aus der eigenen Jugend, dazu mische man den Trend der letzten zwei Jahre, also ein bisschen DJ Antoine-Beat und ein aalglattes klischeehaftes Video – fertig ist der nächste Timati (wobei, der ist - sorry: war – ja sogar richtig wild unangepasst angesichts dessen, was uns hier geboten wird).




Schade, dass Mr. Sean Paul solchen Quatsch mitmacht. War er vor 10 Jahren nicht mal sowas wie der Vorzeige-Dancehall-Star mit Haltung? Auch Mainstream und proletarisch, ja sicher, aber eben mit so was wie einer Meinung, vielleicht sogar dem Bekenntnis zu einem Stil. Mittlerweile macht der 40jährige also nur noch Wischiwaschi-Von-Jedem-Etwas-Brei. Identitätskrise vielleicht? Soll ja so um die 40 bei vielen einsetzen. Oder eben doch nur so ein semi-cooler Medien-Fuzzi, der verpasst hat, sich selbst mal mit ein wenig Abstand zu betrachten. Grrrr – “In Würde älter werden” wäre mal ein Seminar für den Herren. Robbie Williams und Madonna sitzen schon drin und warten.




Sonntag, 18. August 2013

CASPER: Im Ascheregen



Deutschrap ist momentan derartig populär, da kann einem schon fast Angst und Bange werden. Vor allem, wenn man sich die Verkaufserfolge der in den letzten Monaten veröffentlichten Alben anschaut. Da finden sich also solche Typen wie Shindy, RAF 3.0, Genetikk, Kollegah und Farid Bangund jüngst auch Alligatoah auf Platz 1 der deutschen Album-Charts – alles Jungs (mal ausgenommen der letzte, der in seiner naiv-harmlosen Art eher als sinnfreier Komiker rüberkommt), die sich gern als die Ghetto- und Unterwelt-Kings aufspielen und dabei keine Möglichkeit auslassen um irgendwie auf sich aufmerksam zu machen. Auch wenn’s auf Kosten anderer geht. Und viele kleine und unbefriedigte Jungs mögen es, kaufen es … und glauben hoffentlich nicht den ganzen Scheiß, der da erzählt wird. Sonst wär’s um diese Gesellschaft tatsächlich eher traurig bestellt.

Glücklicherweise gibt es seit gut zwei Jahren aber auch die komplette Gegenkultur, die von den bösen und aggressiven Jungs natürlich überhaupt nicht ernst genommen wird, weil da ja der ungebändigte, urwüchsige und ungezügelte Brachial-HipHop verweichlicht wird: CRO, Marteria und CASPER sind hier die Vorzeigebuben. Der letzte hat nun gerade sein Album Hinterland am Start mitsamt Vorgeschmackssingle Im Ascheregen.

Sicher, das was da geboten wird klingt nicht nur viel sanfter, sondern ist damit auch ungemein mainstream- und radiotauglicher – der extra dafür erfundene Begriff RAOP bringt’s direkt auf den Punkt. Dieser Pop-Rap ist deswegen aber nicht weniger authentisch oder nur weichgespült. Genau genommen ist das wahrscheinlich sehr viel mehr an der Lebensrealität junger Menschen dran. Klar gibt es auch die harten Neubaublock-Biographien, es gibt jede Menge soziale Verlierer und es gibt auch das, was gern unter mißglückter Integration zusammengefasst wird. So wie es die "bösen Jungs" aber glorifizieren und darstellen ist es nur ein selbstmitleidiges und romantisches Abziehbild, ein Style-Accessoire. Sagt ja Bushido selbst immer wieder, zumindest wenn ihm mal wieder ein Medienskandal gelungen ist und die Talkshows nach ihm lechzen.

Da schaut CASPER doch deutlich anders auf die Welt. Das, was er an Wut im Bauch hat, das nutzt er um sich von der verhassten, langweiligen und durchgeplanten Spießerwelt loszusagen. Er macht den Zirkus, der ihn fertig macht, nicht einfach mit. Er nimmt Heizöl, Benzin, Dynamit und fackelt sein altes Leben ab. Ja – das sind krasse Mittel. Aber es ist gleichzeitig auch der Versuch eines Neuanfangs.



Das ist die Stärke der jungen Pop-Rapper: sie suchen nach eigenen Wegen, sie werden aktiv. Sei es die Flucht ins hedonistische Vergnügen, sei es die Suche nach dem Glück irgendwo in der Welt da draußen, sei es der Ascheregen. Ghettogangster-Romantik, die nur das Recht des Stärkeren kennt ist langweilig, gibt keine Perspektive. Dort gilt immer noch der beknackte Werte-Quatsch von Idioten, die man doch eigentlich nicht mehr sehen und hören will. Wer hat darauf eigentlich noch Bock?

Dass es mit den Neuanfängen nicht ganz so einfach ist, zeigt uns das Video zu Ascheregen. Eine religiöse Heilserlösungsgeschichte samt weißem Büßer-Gewand – was soll uns das eigentlich erzählen? An dieser Stelle hätte ich mir jetzt doch ein paar zeitgemäßere Bilder gewünscht. Zumindest ist für mich Religion weder das Grundproblem, noch die Lösung. Aber daran können wir uns ja später noch mal ein bisschen mehr abarbeiten.




Samstag, 10. August 2013

John Newman: Love Me Again



Existiert eigentlich schon eine Schublade für das, was da seit einiger Zeit musikalisch auf den britischen Inseln passiert? – Ich meine diese rhythmisch betonten, gern auch elektronisch instrumentierten Titel und Tracks mit verzweifeltem Gesang, die so schön desillusioniert intime Dramen zerlegen. In ihrer Kombination aus gefühlsbetonter Stimme und dekonstruiertem Sound beschreiben sie eine immer wieder nicht funktionierende Beziehungslandschaft, ein Versagen des Menschen im Privaten, dass sich wunderbar spiegelt in der zersplitterten und pseudo-individualisierten, globalen Welt.

Die direkten Vorläufer für diese neue Art der Beschreibung sind zu finden im Erfolg von solchen Künstlerinnen wie Amy Winehouse, Duffy und schließlich auch Adele. So verschieden deren einzelne Zugriffe waren, sie alle transformierten den altehrwürdigen Soul ins aktuelle Jahrhundert, ohne Angst vor einem Flirt mit der Popkultur. Nicht in jedem Fall ging das gut aus – zumindest was die Lebenswege dieser Frauen angeht. Musikalisch war und ist das was dort entstand ein spannender Prozess gewesen.

Viel war vor etwa fünf Jahren, als die Damen ihre ersten großen Erfolge feierten, von Northern Soul die Rede. Die US-amerikanische Tradition war Vorbild und gleichzeitig auch etwas, von dem man sich abgrenzen wollte und musste. Rassenunterscheidungen, die im Soul irgendwie immer als Background mitgedacht werden mussten, spielten keine Rolle mehr, bzw. wurden in der weißen Variante zwangsläufig nicht bedient. Das private Gefühlsdrama war eben genau das: Ein privates Gefühlsdrama ohne großen gesellschaftlichen Kontext. Ganz traditionell geschlechterspezifisch waren es dann auch vorrangig Frauen, die ins Rampenlicht gestellt wurden. So ein Produzent wie Mark Ronson blieb doch ganz gern im Hintergrund. Männer und private Gefühle – immer wieder ein schwieriges Thema.

Mit der neuen Variante des britischen Soul wird dieses statische Rollenverständnis interessanterweise aufgebrochen. Vertreter wie Alex Clare oder John Newman stehen recht gleichwertig neben einer Künstlerin wie Emeli Sandé. Sie versehen Soul nun nicht einfach nur mit ein wenig Pop-Glanz, sie schicken das Ganze eher wieder ein Stück zurück auf die Straße, und mischen ihre Geschichten mit Dubstep oder Drum and Bass. Das private Dilemma erfährt so eine Rückkopplung mit einer etwas weiteren Sicht auf die Welt. Unser Leben ist geprägt von Widersprüchen, Unterbrechungen, großen und kleinen Rhythmuswechseln – und genauso sind es die Beziehungen und Selbstwahrnehmungen.

Der im Moment am meisten beachtete Vertreter dieser Entwicklung ist John Newman. Vor einem Jahr, als Alex Clare mit Too Close wenn auch reichlich spät, so aber doch enorm eindrucksvoll den Wobbelsound in Deutschland zum Mainstream machte, da lieh John Newman dem Duo Rudimental für zwei Tracks seine Stimme. Feel The Love schaffte es sogar in Deutschland zu einiger Aufmerksamkeit. Für den nach wievor unterrepräsentierten Drum and Bass ein enormer Erfolg.



Mittlerweile steht John Newman kurz vor Veröffentlichung seines ersten Solo-Albums. Mit Love Me Again sind die Erwartungen auf dieses enorm hoch gehängt. Am unglaublichsten mutet für mich der Fakt an, dass diese von Gefühl und Verletzlichkeit schier versagende Stimme einem gerade 22-jährigen gehört. Wie schafft es ein junger Mensch, so lebenserfahren und authentisch zu klingen? – Er nimmt seine Gefühle ernst und breitet sie vollkommen ungefiltert, ungeglättet vor uns aus. Großartig .



Ich würde mir wünschen, dass auch in Deutschland die jungen Liedermacher und Poeten diesen Mut hätten. Für meine Begriffe brauchen ihre poetischen Geschichten keine glattgeputzte und saubere Interpretation. Das Leben, und gerade das Beziehungsleben und das Leiden ist auch nicht hübsch und sauber. Es sei denn, man richtet sich darin ein und findet es doch auch ganz schön und komfortabel so melancholisch dahin zu leiden. Bis sich eine wirklich zeitgemäße und eigene Variante von Soul in Deutschland (oder Kontinentaleuropa) entwickelt, wird es wohl noch einige Zeit dauern. Wenn es überhaupt passiert.




Montag, 5. August 2013

Bastille: Pompeii



Was treibt eine junge Independent- oder Alternative-Band dazu Musik zu machen? Welches Bedürfnis sich zu äußern besteht für diese Band heutzutage?

Zynisch könnte ich behaupten: Indie-Rock ist momentan sehr gefragt – Ruhm und Reichtum könnten also sicher ein Antrieb sein. Trotz großem Jammern in der Branche lässt sich ja offenbar noch ganz gut verdienen mit Musik und Veröffentlichungen. Das könnte der Grund sein, warum Bastille doch recht fix den angebotenen Major-Vertrag unterschrieben haben und sich mittlerweile breit vermarkten lassen.

Etwas weniger abgeklärt behaupte ich an dieser Stelle: es gibt da wohl eine Leerstelle bei den vorhandenen Geschichten und Gefühlen, die eben noch nicht erzählt sind. Sich zusammen ins Studio stellen, Songs schreiben und einspielen – das ist auch Arbeit. Der Antrieb dazu ist eventuell das Gefühl, die eigene Gedankenwelt nicht ausreichend wiedergegeben zu erleben in der doch recht großen Masse von kulturellen Produkten. Also schauen wir mal, was haben uns Bastille mit ihrem Song Pompeii Neues und Eigenes zu erzählen.

Erste Erkenntnis: gar nicht so viel. – Pompeii beschreibt in wenigen Zeilen ein Horrorszenario. Es beginnt mit einer Art kommunikativem Blackout – Einsamkeit: “I was left to my own devices / Many days fell away with nothing to show”
Was immer es ist, was dieses Exil, dieses Abgeschnittensein verursachte – es ist die absolute Hölle. Für Menschen, die in jeder Minute mit anderen connected sind, ihre Mikrogefühle und Kleinsterlebnisse teilen, in der globalen Familie zu Hause und geborgen sind, für diese Menschen ist der Verlust von Kontakten oder auch von Mitteilbarem vermutlich das Schlimmste auf der Welt. (Nebenbei bemerkt: Kontaktverluste, Einsamkeit, Kommunikationslosigkeit war auch früher schon etwas Schlimmes, wenn nicht gar Tödliches. Nur die Relevanz dessen wurde noch nicht so stark hervorgehoben.)

In dieser Situation also werden die Bilder sämtlicher Apokalypsen der Welt erfahrbar. Die Katastrophe von Pompeji steht als Sinnbild dafür: einstürzende Wände, Staub und Asche, dunkle Wolken und der endgültige Verlust der Stadt, der Umgebung, wie sie geliebt und gelebt wurde. Dass eine Band wie Bastille auf dieses Bild zurückgreift ist an dieser Stelle schon beachtenswert. Gern steht in Zeitungen und Untersuchungen, dass die neue Generation Internet sich nicht mehr um Geschichte kümmert – Halbwissen und Weichspülerei im Soapformat allüberall. Durch einen Titel wie Pompeii wird das sicher nicht behoben. Eher wird auch hier ein antiker Fakt zum Popspektakel im Breitleinwandformat gemacht. Antike Tragödien sind nach wie vor ein beliebtes Thema. Auch, weil vor zweitausend Jahren ja alles so überschaubar und einfach schien.

Bastille sind also mit ihrer Geschichte, ihrer Erzählung enorm nah dran am Mainstream. Da wird wenig gebrochen oder in Frage gestellt. Auch musikalisch wird dieser Eindruck durch den doch eher gefälligen Sound verstärkt. Oh-weh-oh-Chöre sind schon recht nah am Fußballmassenspektakel gebaut. Wohlfühlstimmung unter Gleichgesinnten inklusive.

Oder ist es hier eher die Diskrepanz zwischen eher resignierendem Text und Gute-Laune-Sound, die bewusst herbeigeführt wurde um Aufmerksamkeit zu erzeugen? Anders als bei OneRepublic/Ryan Tedder habe ich bei Dan Smith durchaus das Gefühl, dass er an der Welt und deren Dauer-Unterhaltungsmodus leidet. Gleichzeitig weiß er wohl um seine Position und Rolle. Das Leben als verspinnerter Eigenbrötler zu führen ist für ihn kein Ausweg.

So verständlich diese Haltung ist, sie bietet auch keinen Ausweg, keine Alternative an. Independent/Alternative – das sind seit mehr als 10 Jahren leere Begriffe. Die Musik, die damit beschrieben wird geht diesen Weg ebenfalls beständig weiter. Mal mehr und mal weniger deutlich. Bastille haben gute Chancen schon recht bald zum Allerweltszombie zu mutieren. In ihrem Video zu Pompeii machen sie das schonmal schön vor. Angesichts dieser Resignation kann man nur einstimmen in den Refrain: “How am I gonna be an optimist about this?”




Mehr Indie/Alternative
sportfreunde stiller: applaus!! applaus!!
Imagine Dragons: Radioactive
OneRepublic: Counting Stars




Sonntag, 28. Juli 2013

Naughty Boy starring Sam Smith La La La



Wenn wir uns anschauen, welche Kulturtechniken derzeit die spannendsten Ergebnisse hervorbringen, dann werden wir unweigerlich auf das Verschmelzen verschiedener Stile und Ausdrucksformen stoßen – gern auch mit Fusion beschrieben. Nach gut 20 Jahren des Remixens und Zitierens, also des Einfügens kleiner Ausschnitte in einen neuen Zusammenhang, können wir nun schon ein paar Jahre lang beobachten, wie aus dem bloßen Einfügen ein Akt des Amalgamisierens wurde. Die neuen Zusammenhänge werden mehr und mehr miteinander vermischt und solange aufeinander losgelassen, bis ein neues Ganzes ohne Brüche entsteht. In der Musik macht das gerade sehr schön Cliff Martinez vor. Sein Soundtrack zu Only God Forgives mischt klassische Orgel mit elektronischem Sound – ein fulminant-pathetisches Gemisch, dass auch ohne die ästhetisierte Bildwelt von Nicolas Winding Refn umhaut. - Im Mainstream-Pop waren es die Chemical Brothers, die 2005 mit Galvanize erstmalig sehr eindrucksvoll und erfolgreich vormachten, welches Potenzial darin steckt Sounds und Stile zu mischen.





2013 ist Fusion zwar keineswegs überpräsent im Mainstream, aber Versatzstücke lassen sich ohne weiteres finden. Ein Song, der es momentan ganz schön vormacht ist La La La, der aktuelle Hit von Naughty Boy. In diesem Fall ist es weniger die musikalische Fusion, die mich zwingend auf das Thema stößt – da hält sich Shahid Khan doch ziemlich zurück, seine besten Produktionen für Emeli Sandé lassen da noch einiges an schlummerndem Potenzial vermuten – das Video zum Song wagt da einen ganz anderen Brückenschlag. Wir landen nämlich ohne Vorwarnung mitten in der bolivianischen Mythenwelt. Ein kleiner Junge, der kein Gehör hat, ist in der Lage durch sein Schreien das Böse zu vertreiben. So zieht er in die Welt und bringt seinen Freunden das Glück zurück. Für europäische und nordamerikanische Menschen ist diese Geschichte vielleicht ein bisschen schwierig. Zu viele Dämonen und unfassbare Geister oder Zauberkräfte. Klassischerweise wird hier doch sehr viel mehr mit realen Figuren gezaubert und verhext. Eins der modernen Märchen ist zum Beispiel Der Zauberer von Oz. Diesen gekreuzt mit der bolivianischen Legendenwelt und heraus kommt die Clipgeschichte zu La La La.



Warum die Bebilderung eines westlichen Songs ins ferne Bolivien verlegt werden muss, das ist mir nicht ganz klar. Vielleicht erscheint diese Welt noch als einfacher einordenbar. In Südamerika, da wo Dämonen und Zaubereien noch Macht haben, da lässt sich einfacher das Böse identifizieren. Gewalttätige Eltern und selbstsüchtige Fitness-Idioten zum Beispiel sind eindeutig böse. Niedliche Hunde und kleine bolivianische Jungs sind gut.

Vielleicht ist die Verschmelzung von westlicher und bolivianischer Kultur auch ein positives Zeichen dafür, dass die Fremdheit zwischen den Kontinenten endlich abnimmt. Ob Südamerika oder Europa – Ungerechtigkeit und Glück sind auf beiden Kontinenten gleich vorhanden. Und gleich bewertet.

So wie also die Bildwelt global zu funktionieren scheint, so ist auch der Text des Liedes eine universelle Geschichte. Sie lässt sich lesen als Abrechnung im privaten Beziehungsgeflecht, genauso wie sie auch als Botschaft an Politik und Gesellschaft verstanden werden kann. Medienmachende und Kulturindustrie sollten den Song genauso ernst nehmen wie Verkaufsprofis und Bankmanager: Das was ihr erzählt und macht ist la-la-langweilig, ich halt mir einfach die Ohren zu und singe La la la.