Freitag, 28. April 2017

Alice Merton: No Roots

Ein wenig ist Roots ja so etwas wie ein Spätzünder. Denn das erste Mal habe ich diesen Titel mindestens Anfang des Jahres gehört. Und da gab es schon ein Aufhorchen: Die ersten Akkorde eine Mischung aus den White Stripes und irgendeinem Strandpartypophit. Dann die Stimme von Alice Merton, die erstmal so scheinbar gar nicht richtig singt, vielleicht erzählt. Und dann schraubt sie sich doch in unerwartete Tonhöhen um im Refrain genau diese Spanne zu wiederholen: cooler Fast-Sprechgesang und ein paar Falsett-Spitzen. Zum Ende des Songs hin wird die ansonsten eher handgemacht-akustisch daherkommende Produktion sogar elektronisch angereichert.

Dazu gesellen sich Lyrics, die mir von einer Frau erzählen, die es feiert nicht bodenständig und berechenbar zu sein. Sie feiert den Reichtum der Möglichkeiten und Chancen, sie ist stolz auf ihr nomadisches Dasein und die Freiheit, ihr Leben immer wieder neu zu erfinden. Keine Wurzeln zu haben ist cool, sich nicht auf eine einzelne Identität festzulegen großartig.

Ist so ein Popsong in Zeiten erstarkender Nationalismen und positivem Bezug auf festgezurrte Identitäten politisch? – Mindestens.
Auch wenn er nicht die Welt verändern wird, kann er vielleicht an der einen oder anderen Stelle Menschen eine Vergewisserung sein. So zu leben wie Alice Merton ist möglich. Sehr gut sogar. Und es ist aufregend, spannend, nachahmenswert.

Denn auch im echten Leben hat die Sängerin schon einiges ausprobiert und hinter sich. Dieser Reichtum ist in No Roots zu spüren und zu erleben. Und plötzlich ist es egal ob da Singer-Songwriter oder Independent Pop dran steht. Es ist beides. Und sogar ein Hit. Toll!

Freitag, 21. April 2017

Clean Bandit Feat. Zara Larsson: Symphony

In der überbordenden Fülle der Videos und Clips gibt es nicht so viel, was einen dann wirklich berührt. Kurz gelacht und dann weggeklickt – so geht das eher. Dass dann ausgerechnet so ein Filmchen wie das zu Symphony von Clean Bandit im Kopf hängen bleibt, ist irgendwie schon schräg. Denn der Clip bietet keine spektakulären Tricks oder technischen Rafinessen, auch keine witzige oder überraschende Pointe. Alles was bei Symphony geboten wird ist eine emotionale, anrührende Geschichte. Ein Verkehrsunfall, eine auseinandergerissene Liebe, ein tragischer Verlust.

Da haben mich also die Clean Bandits an meiner weichen und sensiblen Seite erwischt. Wahrscheinlich auch deshalb, weil der Verlust und der Tod dann doch eher selten eine Rolle im Popgeschäft spielen. Höchstens als blutiges Beiwerk in Splatter- oder Thriller-Adaptionen. Selbst die eher dunklen und verzweifelten Videos wie etwa zu Faded zelebrieren zwar eine ordentliche Traurigkeit, Leere und Kälte, der Tod spielt aber höchstens indirekt eine Rolle. In der Abwesenheit von eigentlich allem.

Bei Symphony ist das anders. Da sehe ich die glücklichen Zeiten und erlebe umso eindringlicher die Leerstelle. Ein bisschen ist das natürlich auch Soap-Klischee. Vielleicht find ich es genau deshalb seltsam, dass es dann doch funktioniert.



Zu den Bildern von einem verzweifelten Mann gesellen sich dann Glöckchenklänge. Ein seltsamer Kontrast. Dann die Stimme von Zara Larsson, die eine Geschichte erzählt von der Bereicherung, die sie durch einen anderen erfährt. Plötzlich ist alles, was vorher war irgendwie weniger wert, blass, langweilig. Und alles was sich Zara Larsson wünscht ist, Teil der Herrlichkeit des anderen zu sein. Ja ja, so pathetisch ist tatsächlich die Wortwahl: I just wanna be part of your symphony. Und dann schwingt sich auch die Instrumentierung hinauf zum ganz großen Bombast.

Das ist vielleicht der Punkt, den man diesem Song vorwerfen kann: Er hat überhaupt keine Angst vor richtig viel Pathos und Schmalz. Na gut, Popsongs sind zum Teil ja auch dafür gemacht. Immerhin schafft es Symphony in den Strophen dann doch immer wieder, sehr viel cooler und reduzierter zu werden. Ein flockiger Housebeat, der aber schon nach kurzer Zeit wieder unterbrochen wird. Man könnte diesen dramaturgischen Wechsel auch klassisch nennen. Die alten Techniken funktionieren also auch bei der Generation 2010+.

Deshalb sind die Bilder und die Inszenierung vermutlich auch genau das: klassisch. Zara Larsson zieht ein Paillettenkleid an und steht als Diva im Orchester, die Cellistin von Clean Bandit lässt sich als unnahbare Statue inszenieren und die beiden Jungs stecken sich in klassische Anzüge. Ein bisschen ärgert mich diese unmoderne Haltung. Aber das ist ja schon immer mein Problem mit Clean Bandit und also muss ich darauf nicht weiter rumreiten.

Umso erstaunlicher finde ich, dass die drei es schon bei ihrem letzten Hit Rockabye schafften, mich zu überzeugen. Und auch bei Symphony bin ich gnädig gestimmt und finde: Kann man durchaus so machen. Auch wenn der Titel sicher nicht zu meinen großen Favoriten zählt, hebt er sich von der breiten Masse der aktuellen Pop-Produktionen wohltuend ab. Das ist in Zeiten der zahlreich angewandten Fertigpopmischungen tatsächlich schon eine Leistung.


Freitag, 14. April 2017

Die Toten Hosen: Unter den Wolken



Ob es eine Punkrock-Band wirklich cool findet, wenn sie plötzlich so etwas wie nationale Superhelden sind und Hits quasi am laufenden Band produziert?
Könnte ja darauf hinweisen, dass die Menschen in diesem Land um einiges cooler geworden sind. Schnoddriger. Weniger verbissen. Vielleicht sogar anarchistischer?
Könnte aber auch heißen, dass Punkrock gar nicht mehr so gesellschaftskritisch, beißend und radikal ist, wie es vielleicht noch vor 30 Jahren der Fall war.

Angesichts des Erfolgs von solchen Bands wie Broilers, Böhse Onkelz oder auch Terrorgruppe kann man schonmal ins Grübeln kommen. Und mit der neuen Hitsingle der Toten Hosen Unter den Wolken erst recht. Denn so richtig klingt das gar nicht mehr nach Punkrock. Rock - ok, hat ja paar E-Gitarren zu bieten, aber Punkrock? Ist ein halb geschrieener Refrain das einzige, was von der Kritik an der spießbürgerlichen Gesellschaft und der Verweigerung übrig geblieben ist.

Wenn ich mir den Text von Unter den Wolken anhöre, dann ist da tatsächlich nicht viel Konkretes zu finden. Alles bleibt schön im Vagen:
Die Welt steht grad auf ihrem Kopf
Der Wind hat sich gedreht
Ein grauer Schatten liegt auf unserm Weg

Irgendwie haben wir ein mulmiges Gefühl, irgendwas läuft hier nicht richtig. Aber was genau da falsch ist – unklar.

Sind die Toten Hosen nicht mehr fähig, das zu beschreiben, was sie ärgert? Geben Sie tatsächlich lediglich der allgemeinen Unsicherheit eine Stimme, die sich dann ganz gern auch mal in Denkzettel-Protestwahlen oder seltsamen Spaziergängen niederschlägt? Ist es so kompliziert geworden in unserem Leben, dass nicht mal mehr eine konkrete Ansage funktioniert? Hat sich Punk nicht irgendwann mal einen Dreck drum geschert, ob man aneckt oder nicht? Hauptsache erstmal gesagt, was man Scheiße findet?

Vielleicht sind die Toten Hosen ein bisschen verwöhnt oder besoffen vom Erfolg. Tage wie diese wurde ja zu so etwas wie einer nationalen Hymne durch alle Schichten hinweg. Das hat dem Lied leider nicht so gut getan. Selbst die kurz vor der Rente stehenden Jugendtrainer waren Fan von dem Titel. Punkrock als Konsens – irgendwie fühlte sich das auch komisch an. Für mich zumindest.

Bei den Toten Hosen bin ich mir nicht so sicher. Unter den Wolken zielt mir zu sehr auf den Mainstream. Laut genug um mir ein semi-wildes Rocker-Dasein vorzuspielen, aber gezügelt genug um ins Format-Radio zu passen. Und auf die ECHO-Preisverleihungsshow. Der Auftritt dort ist ja so ein bisschen dran schuld, dass plötzlich ganz ganz viele Menschen den Song auf ihren Abspielgeräten haben wollen.

Achja, und dann gab es rund um den ECHO noch diese putzige Geschichte mit Jan Böhmermann. Der hat eine ziemlich ungeschminkte Kritik an der neuen deutschen Liedermacher-Pop-Romantik vom Stapel gelassen, inklusive musikalischer Parodie. Vielleicht nicht bis ins letzte gerecht oder richtig - aber mindestens den Kern ziemlich genau treffend. Und obendrein lustig. Könnte man beinahe als Punk bezeichnen, wenn es nicht so glatt produziert daher käme.

Für Campino ist Jan Böhmermann dagegen eher das Feindbild: Der doofe Fernsehmacher des Establishment. Da verteidigt er doch lieber in der Öffentlichkeit die Schlager-Liedermacher, und Böhmermann, der zumindest mal den Finger auf was gerichtet hat ist ein Störenfried ... hmmm ... mindestens eine seltsame Position für einen Punk.

Es hat sich also einiges verschoben im Koordinatensystem unserer Werte. Satire im öffentlich-rechtlichen ist Scheiße – kommerzielle Preisverleihungsshows mit Rieseneinschaltquote für die komplette Familie sind cool. Wie war das nochmal mit dem Punkrock auf Platz 1 der Charts?

Unter den Wolken ist auch wegen dieser Geschichten drum herum nicht unbedingt die Sternstunde des Genres.

Freitag, 7. April 2017

Luis Fonsi Ft. Daddy Yankee: Despacito



Latino-Pop auf spanisch gehört mittlerweile zum festen Repertoire der deutschen Charts. Alle paar Monate bringt es ein heißblütiger Titel zu mittlerer Popularität. Gern aus Südamerika, gern von einem gutaussehenden Macho-Lover gesungen, meistens ziemlich sexualisiert und mit einem tanzbaren Karibik-Beat unterlegt. Natürlich stehen da die Ladies, allen voran Shakira, keinen Deut zurück. Und der deutsche Durchschnittsbürger erhält den Eindruck: In Mittel- und Südamerika geht es nur um eines. Klar, ist ja auch immerzu so heiß, dass man sich gern und schnell der Hüllen entledigt und Haut genug zeigt …

Das Phänomen ist natürlich keineswegs neu. Den karibisch angehauchten Hit gab es schon in den 50ern und 60ern, damals eher noch von europäischen Schlagerbarden intoniert. Ende der 1980er war Lambada der körperlich explizite Tanz-Hit der Saison. Naja, und Shakira macht seit Anfang der 2000er ohnehin nicht viel anderes als Balztanz auf der Bühne.

Vor etwa 10 Jahren gab es die letzte Ergänzung und Modernisierung des Repertoires. Da hievte Raggaton mit seinen Spielarten den Karibik-Sound ins elektronische Zeitalter. Daddy Yankee war damals einer, der den Zug nutzten konnte und mit Gasolina einen Hit einfuhr. Nicht, dass er musikalisch der experimentierfreudigste war – er konnte sich einfach ganz gut verkaufen.

Seit dieser Zeit hat sich der Beat Stück für Stück durchgesetzt und ist mittlerweile Bestandteil von ungefähr eines Drittels aller internationalen Hits von SIA bis Clean Bandit. Und auch die Hits aus Mittel- und Südamerika werden rhythmisch zerhackter, elektronischer, härter – und tauchen häufiger auch in europäischen Hitlisten auf. Jüngstes Beispiel ist nun Despacito, gesungen von Schmuseheld Luis Fonsi, der sich so wie sein europäischer Kollege Enrique Iglesas ein bisschen Street-Credibility einkauft und für seinen neuen Song ein "Featuring" dranhängt, hinter dem dann Daddy Yankee steht.

In Puerto Rico sind die beiden Riesenstars, der Sprung in die USamerikanische Szene war ebenfalls nicht schwer und die Rekorde purzelten nur so: Meistgesehenes spanisches Video innerhalb der ersten 24 Stunden auf Vevo, schnellstes spanischsprachiges Video, das 800 Millionen Views erreicht, der Hit, der in den meisten Lateinamerikanischen Ländern gleichzeitig auf der 1 stand … Nun ist auch Europa dran.

Und die Klischees funktionieren hier offenbar ebenso. Sex sells. Der Latino, der sabbernd durch die Bar fegt, die Hand im Schritt – ein Rollenbild, das einige deutsche Männer auch für sich ganz gern adaptieren würden. Die derzeit mächtig erfolgreichen deutschen Rapstars erzählen von nichts anderem: links und rechts die Ladies, die einem zu Füßen liegen – in der Mitte der Blingbling-King.

Bei Fonsi und Daddy Yankee ist es vielleicht noch etwas subtiler. Immerhin träumen beide ja erstmal nur davon, was sie alles tun würden. Und worauf sie Lust hätten. Und es geht ganz traditionell um die eine Frau, die es zu begatten gilt. Dass die beiden Herren dabei keinen Zweifel daran lassen, dass sie die größten Liebhaber sind, also genau wissen, was ihr gefällt und es gar nicht nötig haben, in ihren Fantasien auch nur mit einem einzigen Wort zu erwähnen, dass es eventuell auch darum gehen könnte, die Angebetete glücklich zu machen ... typisch egozentrische Macho-Weltsicht.

Natürlich geht es in solchen Songs nur um Äußerlichkeiten: Die Frau geht vorbei, die Kinnlade des Mannes klappt runter und hormongesteuert kann er nur noch hinter ihr her schwarwenzeln. Eine Frau, die derartig gut aussieht, muss man einfach erobern wollen. Wenigstens für eine Nacht. Der Jagdinstinkt ist erwacht, das Begehren lodert, es geht um Trophäen, die man sich umhängen kann, um nicht mehr und nicht weniger.

Und damit sind wir beim Grund des Erfolges von Espacito. Es will nicht mehr, als einen winzigen Moment feiern. Kein Wort von Beziehung und einander verstehen und all dem komplizierten Zeug. Einfach nur in die Kiste – möglichst schnell – und dieses Spiel genossen.
Das ist sozusagen der Sound zu den Dating Apps und Abschleppparties der Jetzt-Zeit. Und es ist der Sound der Wunschträume. Denn in Realität funktioniert der ganze Dating-Kram nur bedingt. Da wird rumgezickt und falsch gespielt, Verabredungen werden gemacht, die dann plötzlich nicht zustande kommen. Und hinter den coolen Profilen verbergen sich dann doch nur Menschen mit einem Haufen Komplexen.

Despacito ist sowas wie die Werbeversprechung auf tindr. Hol dir die heiße Frau, den potenten Mann ins Bett. Es ist ganz einfach. Alle sind willig.

Das Leben in echt ist dann doch anders. Gerade hab ich diesen Bericht gehört über die Singles, die nach Berlin ziehen um das große Abenteuer zu erleben und dann sind sie sagenhaft enttäuscht, dass sie im Club nicht den Partner ihres Lebens finden. Laaangweilig! Und der Jung-Journalist, der zur (erotischen) Berührerin geht, dann aber doch ganz verklemmt den Kontakt abbricht, wenn es in seine Hose gehen soll… Ängstlich, spießbürgerlich und inkonsequent.

Und deshalb sind Luis Fonsi und Daddy Yankee Stars. Die trauen sich alles das. Die sind geil und cool. Zumindest im Video. Im echten Leben ist der Fonsi-Bär wahrscheinlich auch nichts weiter als ein ganz lieber, kuschliger Junge, der nur zurück in Mamas Schoß will…
Naja, darüber kann man derzeit keine richtigen Popsongs machen. Träumen wir also weiter von unseren Abziehbildern!