Freitag, 27. Oktober 2017

Camila Cabello Feat. Young Thug: Havana



Cuba ist seit den wirtschaftlichen Lockerungen und der ganz langsamen Öffnung durch Raúl Castro wieder zu so etwas wie einem Traumort geworden. Tausende Touristen zieht es auf die Insel auf der Suche nach Freiräumen, karibischem Feeling und Lebenslust. Eine entscheidende Rolle spielt dabei natürlich auch, dass durch die jahrzehntelange Abgeschlossenheit das Land ein bisschen wie ein unberührtes Paradies wahrgenommen wird. Kein wilder Kapitalismus, ein spartanisches aber reines, wahres Leben ... und trotz allem natürlich Luxusgüter wie Rum und Zigarren. Diejenigen, die auf Kuba waren, zeichnen dann durchaus ein anderes Bild und sind mehr oder weniger überrascht von der Armut und den straken sozialen Gefällen zwischen West-Touristen und In-Kuba-Lebenden. Und dennoch wird immer wieder eines betont: Die Lebenslust und Freude an kleinen Dingen.

In diesem Spannungsfeld aus Projektion und realer Verwurzelung bewegt sich Camila Cabello. Als Popstar sowieso – mit ihrem aktuellen Hit Havana dann aber nochmal um einiges bewusster. Mit Havana hat sie nämlich einen melancholisch-verklärten Song geschaffen, der ebenso mit folkloristischen Elementen spielt, gleichzeitig aber passgenau in die Tagesradioprogramme passt. Vermutlich auch deshalb, weil sie sich sehr großzügig aller möglichen Klischees bedient.

Bei Betrachtung des Videos fällt das noch deutlicher ins Auge: Das schöne, aber arme Mädchen, das sehnsuchtsvoll von großer Liebe träumt – dann kommt unerwarteterweise der Traumprinz, sie starten in einen erotischen Tanz und werden vermutlich bis zur Ausblende zusammen bleiben... Das Schöne und Lustige an dem Video ist, dass es keine Angst vor Kitsch hat, aber genügend Fallen einbaut, welche die gewohnten Abbilder ein bisschen durcheinander bringen. Karla (aka Camila Cabello) liebt Telenovelas – sie wird aber rabiat ins reale Leben gerissen und darf sich in ihrer Familie mit Erwartungen und Lebensplänen auseinandersetzen. Die jungen Frauen sind betont sexy, die alte Großmutter ist es nicht mehr - die Rolle ist dann gleich mal mit einem Mann besetzt. Und der kann dann ganz am Ende noch sehr erotisiert die Hüften schwingen. Im Kino träumt Karla weiter von Romanzen und sexy Tanzszenen, während ihr die Darstellerin von der Leinwand ganz selbstbewusst einen Vogel zeigt. 2017 ist es mit der Emanzipation dann vielleicht doch schon etwas weiter. Hüften schwingen: Ja – aber dann doch gern zu den Bedingungen, die die Frauen festlegen. Ein hübsches Männergesicht reicht da nicht.



Natürlich bleibt der Song bei einem kitschigen Ende – im Tatort muss auch immer ein Täter zur Strecke gebracht werden. Und natürlich ist der Song allen Träumer*innen gewidmet. Ich würde aber sagen: hier hat zuvor schon genug Ironie und Brechung stattgefunden, dass wir getrost davon ausgehen können, dass sich Camila Cabello alles andere als die 1:1 Erfüllung ihrer und unserer Träume wünscht. So wie wir hoffentlich alle auch nicht in irgendwelchen Telenovelas leben wollen. – Wenn ich dann allerdings auf die Straßen und in die Schulklassen gucke, bin ich mir plötzlich nicht mehr so sicher über den Wahrheitsgehalt dieses Satzes.

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