Freitag, 31. Juli 2015

MoTrip featuring Lary: So wie du bist

Eigentlich hat Jan Stremmel in seiner Kolumne ja schon alles über diesen Titel und über MoTrip geschrieben. Aber gut, es gibt ja immer noch etwas mehr zu sagen. Auch wenn ich natürlich genauso anfangen MUSS: Was ist nur aus den Rappern dieses Landes geworden? Sido – der Grundschullehrer mit Ausflügen in TalkShow-Pöbeleien, Kollegah – macht jetzt sogar gleich seinen Abschluss in Betriebswirtschaft, Kool Savas – weinerlicher Großkotz, der mit Xavier Naidoo jammert und Bushido – wer war das nochmal?

Nun also MoTrip – angekommen ganz oben in den Charts dank eines Werbespots, der Kopfhörer verkaufen will aber eigentlich vor allem den Abschied des Bastian Schweinsteigers von Bayern München beklagt. Fußball verkauft sich gut. Bzw. verkauft alles. Auch einen Track, der ohnehin schon als beliebtester des letzten MoTrip-Albums Mama durchging. War also gar nicht so verwegen diese Musikauswahl.

Worum geht's? Junge von der Straße tut alles um endlich anerkannt zu werden, Teil der etablierten Gesellschaft. Schafft's aber nicht, weil da alles andere als guter Wille und Bemühung zählt. Auch wirkliche Entwicklung oder Können sind nix wert. Aber mal ehrlich, wer will eigentlich zu so einem Verein dazu gehören? Selbst, wenn der 1000x die Welt beherrscht und mit stocksteifen Anzügen einen auf Globalherrschaft macht. Das waren doch höchstens mal Wahrheiten in den 1980ern.

Nunja, das ist das alte Problem all der Recken und Haudegen aus dem Ghetto. Eigentlich kämpfen sie immer nur um Anerkennung. Sie geben sich das harte Image um nicht zeigen zu müssen, dass sie eigentlich nichts lieber hätten als ein Stückchen gesellschaftliche Anerkennung. Mit Schlägen und Brutalität schafft man das natürlich. Zumindest scheinbar. Da kann man sich dann auch mal den Champagner und die dicken Autos leisten. Aber natürlich wissen auch alle: Dieser Luxus hält nicht so besonders lange. Und Angst ist nicht Anerkennung. Also ist es wohl nur der normale Weg, dass die ehemals knallharten Rapper doch zahm werden, im Mainstream-Fernsehen Platz nehmen und ziemlich schnell ordentliche Spießer werden. Endlich dann doch noch geschafft mit der Anerkennung. Denken sie.

MoTrip als Sozialarbeiter ist da dann doch schon ein bisschen weiter. (Ich behaupte mal hier, dass das wirklich eine Weiterentwicklung ist. Jan Stremmel sieht das vermutlich eher anders.) Der macht aus dieser Jammernummer "Niemand nimmt mich ernst" etwas, das vielleicht so etwas wie Stolz oder Rückgrat zeigt. Der sagt nämlich: Ist mir doch scheißegal was ihr von mir denkt. Eure Werte sind nicht meine. Hauptsache diese eine da findet mich cool.
Eigentlich geil so eine Haltung.

Nur als Lied dann eben irgendwie auch ganz schön ... kitschigbiederkinoleinwandmäßig. Also irgendwie auch doof. Genau deshalb passt es dann unter so einen Werbespot wie den von Beats by Dre. Und erhält durch den Dauereinsatz als Hit vollkommen den Genickschuss. Da kann der Künstler wahrscheinlich am allerwenigsten dafür. Hat er sich bestimmt nicht selbst ausgesucht, dass sogar die ZEIT über ihn schreibt. Oder eben nicht über ihn sondern über den Fußballer.

Genau das ist das Problem an diesem Track. Den kann man dann sogar als eigenes Werk völlig weg ignorieren. Oder so weit vereinnahmen, dass ich sogar was anderes damit erzählen kann. Das ist nicht unbedingt ein Beweis für eine besonders grandiose und einmalige Produktion.

Mal zum Vergleich: Wenn ich mir den Kram von K.I.Z (um mal die derzeitigen Platzhirsche und Everybody's Darlinge zu bemühen) oder Den Orsons anhöre, dann finde ich auch nach 1.000 mal hören und auch in den idiotischsten Zusammenhängen: Hey – das ist ja immer noch spröde, frech und auffällig. Das hat MoTrip irgendwie nicht hingekriegt. Zumindest nicht mit Bleib wie du bist.

Und wie um zu unterstreichen, dass es um Mainstream-Präsenz und -Erfolg geht, statt um Eigenheiten oder einen aufrechten Gang geht, lässt MoTrip zu seinem ungewollten Hit auch noch ein Video drehen. Mit Lena Meyer-Landrut! Noch Fragen? Ja eine: Wo ist er nur hingekommen, der deutsche Rap? – Die Antwort ist auch klar: Im Pop-Business.

Freitag, 24. Juli 2015

Robin Schulz (feat. Francesco Yates): Sugar

Beim ersten Hören hab' ich den Titel grad wieder ausgemacht, weil ich es vor Langeweile nicht ausgehalten habe. Von der Überraschung, mit der Headlights punkten konnte, ist nichts mehr übrig. Stattdessen geht es zurück auf Nummer "Ganz sicher" – und ich fange schon an darüber nachzudenken, wie oft man wohl das gleiche Stück immer wieder auflegen kann und zu einem sicheren Hit bringt.

Bei Modern Talking hat das in den 80ern ganz gut zwei Jahre gehalten, danach haben sie weiter produziert, weiter Erfolg gehabt, Geld gescheffelt – nach 15 oder 20 Jahren gab's dann sogar eine Reanimierung … Dieter Bohlen ist mittlerweile zum Ober-Arschloch des TV geworden, die sozial Schwachen und politisch Desinteressierten glotzen es trotzdem und haben Spaß.

Ich weiß nicht, wie unglücklich Robin Schulz wäre, wenn er in 20 Jahren so enden würde. Die Art, wie er hitfabrikmäßig seine Tracks produziert und veröffentlich, legt schon eine gewisse Eiseskälte und knallharte Berechnung nahe. Der Typ überlässt nichts dem Zufall. Das ist streng analysiert und umgesetzt.

Deshalb ist es eventuell nicht verkehrt mal zu schauen, was bei aller Gleichförmigkeit tatsächlich die Unterschiede sind bei Sugar. Ja tatsächlich, da gibt es etwas. Denn obwohl es wieder ein Gitarrenriff ist, das endlos wiederholt wird, hat es eine andere Fähigkeit zu Hypnotisieren. Die Hookline ist kürzer, keine fast-schon-Melodie, wirklich nur ein Sample und damit reiht sich der Sound eher in das ein, was Feder gerade exzessiv durchspielt. Vielleicht ein winziges Zurück zur Tanzfläche?

Auf diesen eher funktional angelegten Track liegt die Stimme von Francesco Yates, – angeblich ja ein kommendes Supertalent, sei's drum. Zumindest ist dieser junge Mann nicht leidend und selbstmitleidig wie Mr Probz, nein, der genießt das Leben, der hat Freude, der feiert. Hier eine schöne, mitreißende, anbetungswürdige, umwerfende Frau. Und das macht er nicht ordinär wie US-Stars à la Jason Derulo oder Robin Thicke – der junge Kerl macht das viel pfiffiger, mit wesentlich mehr Bewunderung. Deshalb nimmt er sich von der Baby Bash-Vorlage Suga Suga tatsächlich nur den Refrain. Und das ist nicht einfach nur hübsch, sondern richtig clever, denn letztlich ist der Rest eher ... naja.

Wenn dann das alles schon mal stimmt, dann kann es immer noch mit dem Video ganz schön daneben gehen. Aber auch da: Es gibt Differenzen. Robin Schulz und sein Team haben ein bisschen was gelernt.
Der Polizist, der völlig durchknallt, ist zunächst mal vor allem witzig, dann fangen die Rollenklischees tatsächlich an zu schwanken, Big Dipper hätte definitiv seine Freude an der Autowasch-Szene, und schließlich schmeißt sich der Typ in coole Klamotten um zum nächsten Robin-Schulz-Gig zu schreddern, sozusagen Totalverwandlung.



Das ließe sich jetzt schön lesen als eine Art: Sei wie du bist, egal wie spießig dein Job/Leben bisher verlief. Leider ist es im Jahr 2015 kaum noch möglich, diese Vision einfach stehen zu lassen. Wie schon bei Anna Naklabs Version von Supergirl behält die Normalität am Ende die Oberhand. Zu viel Party und Exzess will dann Robin Schulz auch wieder nicht.


Das Original:


PS:
Ehrlicherweise und um das Kalkül von Robin Schulz noch ein bisschen mehr herauszustreichen, muss man natürlich auch sagen, dass es in den letzten Monaten eine ganze Reihe von Remixen von Suga Suga gab. Robin Schulz hatte also genügend Gelegenheit zu studieren, wer da was richtig gemacht hat und was eben nicht so grandios funktioniert hat. Auch hier wieder: Der Typ ist reichlich clever und schlau genug um im richtigen Moment zuzuschlagen. Eventuell erleben wir ihn tatsächlich in 20 Jahren beim "Wer-wird-Europa's-Next-Super-DJ?"

Freitag, 17. Juli 2015

AVICII: Waiting For Love

Hmm – es musste ja so kommen. Egal, was der Schwede Tim Bergling aka AVICII auch auskoppelt, das Ding wird ein Hit. Ok – das ist ein klein wenig übertrieben. Die letztjährigen Singles Lay Me Down und auch The Nights blieben vergleichsweise unterbelichtet, schafften es nicht mal in die Top 10 der Single-Charts. Das ist für einen Superstar wie AVICII schon sehr ungewöhnlich. Mit Waiting For Love ist nun alles wieder in Ordnung.

Allerdings fährt AVICII mit dem Song auch schon ordentlich schweres Geschütz auf. Zunächst mal die Besetzung. Als Co-Producer fungiert hier Martin Garrix, der zwar nicht explizit genannt wird, aber im Vorfeld der Veröffentlichung durch diverse Posts und Tweets schon ordentlich besprochen wurde. Als Stimme sollte zunächst John Legend gewonnen werden. Der ist ja durch seinen Dauerbrenner All Of Me schon so etwas wie eine Legende. Dann entschied man sich aber doch für Simon Aldred, seines Zeichens Leadsänger von Cherry Ghost. Nicht unbedingt die große Berühmtheit, aber allein der Fakt, dass er nunmehr für John Legend "einspringt" adelt den Sänger ein wenig.

All das machte also schon ordentlich Wirbel und stellte zunächst mal ein Grundinteresse für Waiting For Love her. Ich behaupte mal, der Grund für den großen Erfolg war das alles aber noch nicht. Zumal ich weder das Besondere an der Garrix-Produktion raushöre, noch dass ich den Gesang jetzt so charismatisch einmalig empfinde... Aber da lasse ich mich gern von echten Musikwissenschaftler*innen eines besseren belehren.

Im Zeitalter von Social Media und virtueller Vermarktung zählen noch andere Faktoren. In diesem Fall waren es neben all den Meldungen drei nicht ganz unaufwändig produzierte Musikvideos.

Das erste, welches zeitgleich mit dem Song erschien, war das Lyric Video. Anders als sonst üblich, machten sich die Produzenten hier wirklich die Mühe, neben dem Songtext eine animierte Geschichte zu erzählen. Oder eigentlich ist es sogar genau umgekehrt, die Texteinbldendungen sind Nebensache, dem Trickfilm gilt das Hauptinteresse. Bei dem handelt es sich dann obendrein noch um eine anrührende Mansch-Tier-Geschichte mit kinotauglichem Kriegshintergrund. Das drückt nicht nur ordentlich auf den Gefühlsknopf (süßer Hund) sondern transportiert gleich noch ein märchenhaftes Wertegerüst mit (lebenslange Treue und Freundschaft - eigentlich bis in den Tod).



Das Realvideo wiederholt das Ganze als Geschichte zwischen einem alten Paar. Sie verschwindet eines Nachts plötzlich und unerwartet, so dass er sich auf die Suche nach seiner Liebe macht. Allerlei Hindernisse überwindet er und findet am Ende zu ihr zurück – die große, lebenslange Liebe hat sich bewiesen, hat überlebt.



Dieses Video hat im Gegensatz zur niedlichen Tiergeschichte ein paar Brechungen aufzuweisen. Geschichten von alten Menschen der Jugend zu zeigen, ist ja immer auch ein bisschen schwierig und hat lustige Ecken. Der Ausflug des Alten im Elektro-Rollator entbehrt also nicht einer gewissen Komik, die letztendlich den Alten doch zum Objekt macht, auf dessen Kosten die Jungen ihren Spaß haben.

Dass während der gesamten Suche vor allem alte Menschen den Weg des Alten kreuzen, ob nun KFZ-Reparateure oder Motorrad-Rocker, spielt eigentlich ganz schön mit dem Thema demographischer Wandel. So könnte es bald aussehen im überalterten Europa. Am Ende tauchen aber die Youngsters auf und feiern mit dem Seniorenpaar die Liebe. Party, Zweisamkeit, Glück und Jugend gehören zusammen – alt sein ist da schon eher problembehaftet. Hmmm ... Im Video geht das gerade nochmal gut. Immerhin darf auch die alte Frau ihren Liebsten noch mit wilden und verführerischen Tänzen und Beinbewegungen bezirzen.


Mit diesen beiden Kurzfilmen war es den Marketing-Strategen noch lange nicht genug. Innerhalb kürzester Zeit erschien auch ein 360°-Video zu dem Song. Und das war dann der große Clou für den Song. Eine raffiniert eingefädelte Kooperation zwischen Mediengiganten, die zwei Fliegen mit einer Klappe schlägt: Zum einen natürlich großartige Werbung für den Song – erstes interaktive Video ever! Das spielt in der Liga von Happy. Und dann auch eine super Promotion-Kampagne für den google-eigenen Webbrowser. Denn ohne Chrome-Browser ist da nix mit 360° und interaktiv.

Für Kiddies sind diese Vermischungen und Verquickungen von Vormachtstellungen und Verkaufsbewerbungen nicht so einfach zu durchschauen – oder wahrscheinlich schon Normalität geworden. Für etwas ältere und vielleicht auch ein wenig medienkritische Menschen ist das dagegen ein absolutes Unding. Resignierend kann ich hier feststellen: Die zweite Gruppe wird es schon sehr bald nicht mehr geben.

Waiting For Love macht uns also sehr schön vor, wie die Zukunft aussieht. Alte und durchaus auch konservative Werte ins 21. Medienjahrhundert transportiert und popkulturell aufgeladen. Du sollst dein google lieben wie dich selbst. Ohne diesen Service ist dein Leben traurig und einsam. Wer wird dich trösten? Wer verbindet dich mit der Welt? Wer macht dein fröhliches Leben überhaupt erst möglich? Ein Leben ohne google – unvorstellbar. Schlimmer noch: Gar nicht mehr machbar.

AVICII hat das offenbar erkannt.

Samstag, 11. Juli 2015

Lost Frequencies feat. Janieck Devy: Reality

Es ist die Zeit der anschwappenden Sommerhits. Und damit auch die Zeit der Untiefen. Die meisten Menschen wollen in der Urlaubszeit ja nicht besonders viel nachdenken. Am Strand liegen, sich der Faulheit hingeben, träumen, das Dasein genießen, ein bisschen Alkohol, ein Sommerflirt und natürlich schönes Wetter...

In diesem Jahr mischt sich in dieses unbeschwerte Gefühl eine nicht zu überhörende Melancholie. Ob es nun CRO mit der Trauer um verpasste Chancen ist oder Feder mit dem Beziehungsdrama, ob Anna Naklab oder Gestört aber geil oder auch KYGO – überall schwingt die Angst/Sorge/Trauer um Verpasstes, Vergangenes, Vergängliches, Verluste mit. Nix da mit unbeschwerter Party und Lebensfreude.

Das kann natürlich auch daran liegen, dass gerade die Weltnachrichten nur Böses und Schlimmes vermelden. Da kriege ich einen Schreck und ziehe mich ganz schnell in mein Privates zurück. Mache Augen und Ohren zu, summe ein Lied vor mich hin und hoffe, dass es mich nicht trifft und der ganze Quatsch schnell wieder vorbei ist. In meinem Gesang ist natürlich deutlich zu hören, dass ich eigentlich völlig verzweifelt bin, nicht weiß wo es lang geht – ein kleines Häufchen Unglück.

In dieser großen, überspielten Verzweiflung mischt auch der Belgische DJ Lost Frequencies fleißig mit seinem Sound der verträumten Belanglosigkeit mit. Schon das Frühjahr lang hat er uns mit Are You With Me begleitet, für den Sommer schenkt er uns Reality.

Erstaunlicherweise – oder eigentlich auch gar nicht erstaunlich – greift er hier auf das Muster von 2014 zurück: Gitarrenmelodie und sentimentale Männerstimme. War das nicht bei Mr Probz schon das Erfolgsrezept?

Nun – es funktioniert offenbar immernoch. Auch wenn es weder besonders originell noch irgendwie anders einfallsreich ist. Das schließt sehr schön an den momentan wabernden und blubbernden Alltagssound an, ohne Unterbrechung, und belässt mich also ungestört in meiner Selbstversunkenheit. – Das ist es, was das verzweifelte, verängstigte und unsichere Europa gerade braucht: Realität die keine ist oder nur die eigenen Befindlichkeiten bauchpinselt.

Das Video untermalt den Sound mit einer Bilderwelt aus dem vorigen Jahrhundert. Mindestens. Junger Mann lässt sich faszinieren von Schatzkarte eines Urahnen, findet in Büchern aus einer verstaubten Bibliothek weitere Hinweise, kann damit seine esoterisch angehauchte Freundin irgendwie begeistern und am Ende stehen sie Titanic-mäßig auf einem Boot und sehen einen übernatürlichen Sturm die forschen Schatzsucher vernichten ... Fantasy meets Love Story meets 70er Jahre Kitsch. Das also ist Reality.



Wie scheiße ich diese ewige Rückwärtsgewandheit finde brauche ich an dieser Stelle gar nicht mehr ausführen. Hab ich oft genug getan. Wie doof ich die Geschichten von behütet aufgewachsenen Jugendlichen finde, die vor lauter Langeweile nichts mit sich anzufangen wissen und deshalb halbherzig auf Klassenausflug gehen, kann ich hier ebenfalls nur noch einmal wiederholen. Selbst wenn die Lyrics zu Reality sogar noch recht vieldeutig sind und es zulassen über Möglichkeiten oder die Schönheit des Lebens nachzudenken, Fragen zu stellen – mit der Vertonung wird alles schon reichlich deutlich zur Trauerarbeit über die Unberechenbarkeit des Lebens: Warum tanzen, wenn doch ohnehin gleich der schöne Moment vorüber ist?

Kombiniert mit den Bilderwelten entsteht eine völlig desillusionierte Sicht auf das Leben: Wohlhabende und abgesicherte Kids, die nicht mal mehr wissen wie ein Abenteuer geht. Selbst aktiv werden, fiebrige Neugierde, die zu spontanen Aktionen animiert oder körperliche Anstrengung und Arbeit? Fehlanzeige. Ein gebuchter Ausflug auf dem Fischerkahn geht grad noch. Und wenn dann die Katastrophe, das eigentliche Abenteuer startet, dann können sich die beiden nur noch in die Umarmung flüchten und die dramatische Schönheit aus sicherer Entfernung bestaunen. Das war es jetzt, unser großes wildes Abenteuer. Ein Kinoerlebnis.

Dass diese Geschichte so vielen gefällt, offenbar aus dem Leben erzählt, das lässt mich immer wieder staunen. Schade, dass alles nur noch abgesicherte Medieninszenierungen und Pauschal-Urlaubsangebote sind. Der Ausbruch aus dieser Wattebauschwelt muss dementsprechend krass und extrem ausfallen. Und naiv. Es gibt ja kaum reale Erfahrungen von Not, Lebensangst und existenzieller Bedrohung.

Die Heimkehrergeschichten von deutschen Jugendlichen aus dem IS-Krieg lesen sich genau so: Endlich sollte mal etwas real sein, von Bedeutung, es sollte mal um etwas gehen. Dass Realität dann wirklich auch weh tun kann und echten Verlust und Verzicht bedeutet, das hatten die wenigsten auf dem Schirm.

Montag, 6. Juli 2015

CRO: Bye Bye

Da isser also wieder. Unser CRO. Und er klingt so sanft und soft und kuschelig – klar, dass das alle mögen und in Verzückung geraten. Die Vorab-Auskopplung zum Unplugged-Album heißt Bye Bye und es ist ein Lied über die verpassten Gelegenheiten. Über die Angst, die Initiative zu ergreifen ... und schwups ist die Liebe, das Leben, das Glück entwischt. So geht das.

Tja, und ein bisschen hab' ich grad das Gefühl, dass CRO mit diesem Album nicht so den 100%igen Glücksgriff gelandet hat. Es sollte zwar eine Auszeichnung sein ... immerhin, nach drei Jahren massivem Erfolg Kandidat für die Erfolgs-MTV-Serie. Andere mussten da mindestens das doppelte oder länger an Erfolg vorweisen. Der Mann hat es also recht schnell geschafft. Großartig! Aber eben leider auch ein bisschen uninspiriert.

CRO könnte jetzt garantiert noch fünf Jahre so weiter machen und er wäre vermutlich weiterhin erfolgreich, nur: der wirklich überzeugende Moment, die Überraschung, die steckt in dem neuen Song nun grad gar nicht drin. Das ist Sound und Text, wie wir ihn von zwei überzeugenden Alben kennen. Das ist also CRO wie er geliebt wird. Mehr nicht.

Jetzt kann man natürlich auch sagen: Der Song is ja auch gar nicht richtig neu. Der lag in der Schublade und hat einfach bislang nicht den Weg zur Veröffentlichung geschafft. Tja – das ist dann auch genau das was es ist: Ein schwacher Trost für einen eher mittelmäßigen Cro-Song.
Vor zwei Jahren hätte ich sicher noch ganz anders geredet. Da war das Material von CRO fresh und ungewöhnlich. Raop war als Bezeichnung noch relativ jung. Jetzt klingen schon eine ganze Menge Acts ähnlich. Und CRO muss sich dazu noch an sich selbst messen lassen. Die unerwarteten Rhymes von Easy, die krude Geschichte von Bad Chick oder der ungewöhnliche Gitarreneinsatz bei Einmal um die Welt – das muss er erst mal toppen.

Was er uns aber mit Bye Bye schenkt sind softe, kuschelige Töne im Bagband-Sound. Von der wilden Lebenslust, den eigenen Entwürfen ist gar nichts mehr zu hören. Da singt ein Trallallalla-Chor im Hintergrund, der Sänger ist jetzt schon richtig ernstzunehmen und lässt sich beinahe mit Orchester begleiten ... uiuiui, das schrammt schon ordentlich scharf an elternhafter Biederkeit vorbei. Dieses Album kaufen sich jetzt also auch die 40-jährigen. Na, wenn das kein Erfolg ist.



In dieser kulturvollen Gediegenheit rumpeln plötzlich auch die Texte ganz schön hart durch den Normalo-Alltag. Frauen sind schön und wollen Handtaschen kaufen, Kerle sind stark und müssen Frauen ansprechen. Ganz schön viel Soap-Raop. Und ich dachte immer, das 20. Jahrhundert wäre Vergangenheit...

Ich würde sagen, die Kids von heute hätten das Zeug dazu ein bisschen anders drauf zu sein. Und sie hätten auch einen konsequenteren Star verdient. Aber vielleicht verlange ich da zu viel. Letztendlich ist ja auch Tom Bühre mit seinen Teenie-Beschreibungen schon ganz schön altklug angekommen. Der lehnt sich zurück, kennt die Welt und riskiert kaum was Eigenes. Schade.

Ich warte also mal auf wirklich neues Material. Gern auch von CRO.