Freitag, 25. Dezember 2015

EFF: Stimme



Könnte sein, dass dieser Titel so ein bisschen den Weg weist für die kommenden Monate. Ist natürlich nicht völlig neu das Konzept, Gestört aber geil und Philipp Dittberner & Marv haben es schon prima vorgemacht, jetzt haben aber mit Felix Jaehn und Mark Forster zwei Superschwergewichte das Rezept aufgenommen und bringen es zu noch mehr Erfolg: Deephaus plus deutscher Text.

Das kann durchaus peinlich werden – Glasperlenspiel stehen aktuell prominent für ordentlich schief gehende Geschichten auf deutsch. Da hat Mark Forster doch einiges mehr zu bieten. Obwohl Stimme jetzt auch nicht unbedingt der Glanzpunkt seiner Tätigkeit als Autor ist.

So viel Gelegenheit hat er bei Stimme auch nicht. Der Ausruf "Hör' auf die Stimme" wird da für meinen Geschmack doch dreimal zu oft wiederholt. Fast schon mantramäßig wird die Forderung geäußert.



Gut – immerhin ist es hier wenigstens der Aufruf, auf das zu vertrauen, was einem selbst als richtig vorkommt, und nicht auf Regeln und Vorgaben von anderen zu hören. Passt ja auch ganz gut zum Familienfest, dass vor lauter Harmoniespielen häufig grad mal gar keinen Freiraum lässt für eigene Ideen, Meinungen oder gar Handlungen. Alle machen ständig Dinge, von denen sie annehmen, dass es die anderen so gut finden würden – geht dann nicht selten komplett schief, weil es schon für sich selbst eben nicht ok ist. Stimme ist also der perfekte Soundtrack für die aktuellen Tage und den Familienwahnsinn.

Felix Jaehn gibt sich dabei ordentlich Mühe mit KYGO-DeepHouse-Glöckchen ein wenig Festtagsstimmung aufkommen zu lassen. Auch festlich-pathetische Streicher dürfen nicht fehlen – das ist alles schon ordentlich fett aufgetragen und fängt ganz gut an zu kleben. Das ist schade, denn etwas mehr Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit hätte dem Ganzen vermutlich gut getan. Dann müsste auch Mark Forster seine Textzeilen nicht so angestrengt dahererzählen.

Wenn es also künftig noch mehr solche deutschsprachigen DeepHouse-Hits gibt, dann ist da noch eine ganze Menge Platz um Dinge anders und besser zu machen. Wart ich mal ab.

Samstag, 19. Dezember 2015

Major Lazer Feat. Nyla & ODG Fuse: Light It Up



Dass es mit der globalisierten Welt keineswegs so einfach ist, das kann man schön an Major Lazer ablesen. Denn obwohl das Duo/Trio? fleißig aus allen Weltregionen Einflüsse aufnimmt und verbreitet ist es keineswegs so, dass wir instantmäßig überall den gleichen Erfolg beobachten können. Oder etwa eine simultane Veröffentlichungspolitik.

Das hat vielleicht gerade mal so bei Lean On hingehauen, aber schon danach wurde es ungemein disparat. In den Staaten folgte Powerful mit Gastsängerin Ellie Goulding, in den Clubs war es das Balkan-beeinflusste Too Original und während in Nordamerika gerade Lost beginnt seine Kreise zu ziehen, landet in Europa Light It Up in Belgien, den Niederlanden und Deutschland in den Top 10.

Das ist insgesamt schon einigermaßen überraschend. Denn wo Lost noch einmal die dänische Sängerin ans Mikro lässt, da setzt Light It Up sehr viel geradliniger auf Jamaika-Dancehall mit Nyla als Frontfrau. Und genau das scheinen die Kontinentaleuropäer sehr zu mögen. Weit weg von der eigenen Realität und irgendwie auch das Abziehbild für ein unbesorgtes Leben mit viel Sonnenlicht und liberaler Drogenpolitik. Das ist hier so schnell nicht zu bekommen.

Auffällig ist, dass es mit den Niederlanden gerade ein Land mit recht freizügigen Narkotika-Bestimmungen ist, welches den Karibik-Style feiert. Eventuell gibt es da doch mehr Parallelen in der Art zu feiern, als auf den ersten Blick gedacht?

Sollte das zutreffen, können wir uns in Deutschland eigentlich nicht beschweren. Sich selbst feiern und genießen, das können wir offenbar ganz gut. Sogar in der eher ungemütlichen grauen Jahreszeit. Die überall völlig menschenüberfüllten Weihnachts- und Adventsmärkte unterstreichen das auf ihre Art nochmal deutlich.

Vom debilen Weihnachts- und Schlagergedudel hat Light It Up glücklicherweise gar nichts. Das ist für sich genommen sogar eher spröde. Und irgendwie ist es auch das, was mich bei Major Lazer so fasziniert. Die meisten ihrer Produktionen sind nämlich auf Anhieb gar nicht so wahnsinnig eingängig. Da fühlt man sich auch mal bisschen draußen. Erst mit der Zeit werden sie unwiderstehlicher und bilden kleine Widerhaken im Gehör.



Im kompletten Stil- und Genre-Clash zwischen Trap und Moombathon existieren von Light It Up bereits eine ganze Menge wilder Varianten, die dem einen oder der anderen den Einstieg vielleicht nochmal ein bisschen leichter machen und die untereinander kaum noch was miteinander zu tun haben. So kann es gut sein, dass zwei Menschen, die den Track unwiderstehlich finden, von etwas komplett anderem reden. Das könnte eine Menge Missverständnisse geben – oder auch zu einem mehr an Austausch und Akzeptanz führen. Nicht schlecht für ein Stückchen launiger Feiermucke.

Freitag, 11. Dezember 2015

Coldplay: Adventure Of A Lifetime



Irgendwie kommen mir Coldplay wie ein paar letzte Dinosaurier vor. Ich meine damit das Konzept Jungsband, das sich zwischen Rock und Pop ganz gut einrichtet, quasi einen Klassiker nach dem anderen veröffentlicht, erfolgreich auf Konzert-Tour geht und bei all dem Marketing-Zirkus nicht vergisst auf der guten Seite zu stehen und sich für irgendeinen Charity-Zweck zu engagieren. Gefühlt, gab es in den 80ern und 90er Jahren Hunderte solcher Bands – angeführt von Recken wie U2. Auch die 2000er kannten noch einige solcher Beispiele: The Killers, OneRepublic, Sunrise Ave., vielleicht auch Mando Diao. Und was machen die 2010er? Die Imagine Dragons mit überproportionalem Radio-Airplay, MAROON5 auf jeden Fall und vor gut zwei Jahren auch mal The Script. Aber dann bin ich schon so ziemlich durch – zumindest wenn man den großen kommerziellen Charterfolg als Maßstab nimmt.

So ein bisschen scheint die Zeit dieser Monster-Formationen vorbei. Oder macht grad eine Pause. Im besten Fall eine Verjüngungskur. Denn das Konzept funktioniert für mich eigentlich nur noch so richtig, wenn die Jungs sich auf das Wesentliche besinnen: Also handgemachten Rock zum Beispiel (Linkin' Park). Alles andere, was da gern auf die Albumcharts schielt, das ist mir meist doch eher peinlich. Ich sage nur: OneRepublic – kaum ein eigenes Profil, Hauptsache radiotauglich.

Coldplay haben in gewisser Weise auch diesen Drang zum Radio-Mainstream, klingen also ganz gern mal verwaschen. Irgendwie haben sie es aber dennoch hingekriegt, einen echt guten Ruf zu haben. Zumindest erlebe ich regelmäßig junge Menschen, die kommerzielle Musik total ablehnen, dann aber doch den Hit von Coldplay in ihrer Playlist haben. Schräge Nummer.

Dieses Phänomen scheint sich mit dem aktuellen Album von Coldplay A Head Full Of Dreams zu wiederholen. Zwar nicht sofort überall die Nummer 1 – da ist Adele's 25 dann doch noch zu stark – aber definitiv ein Track-Bundle, dass sich in Massen verkauft. Und trotzdem diesen Hauch von handgemacht, sehr eigenständig und deshalb über-jede-Kritik-erhabend inne hat.

Die Vorab-Single zum Album, Adventure Of A Lifetime, ist schon ein paar Tage erhältlich und hat sich auch ganz gut im Tagesgeschäft etabliert. Mit dem songtragenden Gitarren/Synthesizer-Loop haben Coldplay tatsächlich auch einen wunderbar wiedererkennbaren Melodiebrocken hingezaubert. Und wahrscheinlich ist es auch der eher synthesizerorientierte Background der Strophen, der einiges an Überraschungseffekt bietet. Der erinnert mich nämlich eher an solche Hits wie Safe And Sound oder Rather Be als an das, was ich sonst so von Coldplay im Kopf habe. Obwohl natürlich auch Viva La Vida und Paradise ihre deutlich tagespopfixierten Momente hatten.

Einen gewissen Überraschungseffekt bieten Coldplay also definitv. Nicht nur mit ihrer aktuellen Single, sondern auch in der Vergangenheit recht häufig. Und das könnte mindestens ein Grund sein, warum sie nahezu die einzige Band sind, die diesen Spagat aus handgemacht und popaffin mit breitem Erfolg hinkriegt. Die meisten anderen Bands wiederholen sich dann doch zu oft selbst. Das ist in Zeiten nahezu kompletter Verfügbarkeit von allem veröffentlichten Material eher etwas das zu Langeweile führt als zu der Bewunderung der stilistischen Strenge. Wie gesagt: in anderen Genres als dem Mainstream-PopRock mag das nochmal ganz anders funktionieren.

Mit Adventure Of A Lifetime hat Chris Martin eine schöne Hymne auf die Einmaligkeit des Lebens geschrieben. Sei es der Moment zu zweit oder die Entscheidung, keine Sekunde an etwas Unnützes, Ungewolltes zu vergeuden. Sehr präzise eingefangen und zum Ende in Juh-huh-Jubelchöre übersetzt. Das ist dann schon ganz schön viel der Lebensfreude. Aber vermutlich ist es auch nicht möglich, bei überbordendem Glück tatsächlich die Fassung zu bewahren.



Was mich wesentlich mehr verunsichert ist das Video zum Song. Mat Whitecross hat sich eine animierte Affen-Geschichte ausgedacht, welche die Primaten bei glückseligem Musikgenuss bzw. eigener Kreativität vorführt. Hmmm – also an sich bin ich schon bei Trick-Produktionen, die dann doch nur die Realität nachmachen eher skeptisch. Das mag bei überhöhten Manga-Stories funktionieren oder bei fantastischen Märchenwelten, beim Ausflug in den Dschungel finde ich es dann doch eher albern und nicht so besonders künstlerisch-wertvoll.

Und dann bin ich von der Story eher enttäuscht. Es gibt alle möglichen Momente, die als lebensbeeinflussend und grundsätzlich zu beschreiben wären. Der Moment eines Lebens, der alles verändern kann. Musik kann das sicher auch sein. Aber gerade jetzt und heute hätte ich mir statt der Geschichte einer (Jungs-)Band eher etwas anderes gewünscht. Vielleicht etwas, das ein bisschen mehr mit meinem Alltag zu tun hat. Oder mir Zuversicht gibt in dieser Situation, die mir vor allem Fragen und Herausforderungen offeriert.

Dass es gerade Coldplay mit ihrem Sauber-und-Gutmenschen-Image sind, die sich in die belanglos unpolitische Ecke stellen und auf jegliche Gesellschaftskritik verzichten, das find ich schon einigermaßen überraschend. Dass sie dann obendrein noch ihr Band-Dasein als ultimative Daseins-Form inszenieren (quasi das Team, welches dazu führt, dass sie sich dem Menschsein annähern), das regt mich fast schon auf. Da könnte ich gleich ganz weit ausholen und über die Ausgrenzungsmechanismen von eingeschworenen Personal-Unionen schreiben …

Coldplay sind als Band also momentan noch ziemlich auf dem Trip der Bauchnabelschau, der Selbstbeweihräucherung als Quartett - damit auch ein bisschen weg vom aktuellen Weltgeschehen. Könnte also gut sein, dass es mit der Rettung oder erfolgreichen Neubelebung der Band-Dinosaurier noch ein Weilchen dauern wird.

Sonntag, 6. Dezember 2015

Robin Schulz & J.U.D.G.E..: Show Me Love

Single Nummer vier aus Robin Schulzes zweitem Album Sugar. Top Ten Hit Nummer drei. Hier ist Show Me Love.

Was hat sich da im Vergleich zu seinen anderen Hits getan?
Zunächst mal lässt sich feststellen, dass es hier erstmal zurück geht zu den Anfängen des Erfolgs von Robin Schulz. Die Gitarrenmeldoie erinnert doch arg an Waves (auch wenn es natürlich komplett was anderes ist – das Prinzip wiederholt er hier gern nochmal).
Erstmal wieder vergessen seine Ausflüge in andere Soundfarben mit Headlights und Sugar. Gegen diese nimmt sich Show Me Love musikalisch tatsächlich ordentlich seicht aus.

Textlich ist es einmal mahr das große Zweifeln: Wirst du mich noch wärmen können, wenn wir alt sind? – Verbunden mit einer hübsch romantischen Gewissheit: Auch wenn wir nicht mehr krauchen können, es wird nie etwas Schöneres geben als dich.
Und das ist dann schon ein gewisser Unterschied zum Mr Probz-Remix, der ja vor allem in Selbstmitleid badete. Hat Robin Schulz mit seinem Erfolg tatsächlich auch so etwas wie Lebensfreude gefunden?

Immerhin, das Video zu Show Me Love zeigt allerlei Albernheiten – manche vielleicht schon zu sehr einen Tacken deutsche Mittelstandskomödie. Beim dramatischen Schluss ergibt sich dann der Sinn. Und der tief sitzende Kitsch.
Auch der größte Pechvogel und Tolpatsch wird mit Liebe und Treue belohnt – wie süß.



Robin Schulz stakst durch die Schlussszene ein wenig wie ein Fremdkörper. Ein bisschen zu chic angezogen, ein klein wenig zu cool – naja klar, er ist ja quasi der Puppetmasta of this scene. Derjenige, der hier die Dinge arrangiert. Fast gottgleich kann im der Orkan nicht wirklich etwas anhaben.

Wahrscheinlich ist es das, was mich so allgemein an dem jungen DJ stört. Er inszeniert sich eben nicht als normal und so wie wir alle. Er ist der Mann oben auf der Kanzel, er heizt der Masse ein, er lässt sich feiern.
Das machen andere DJs auch, klar. Sympathischer sind die meist aber auch nicht.
Auch nicht, wenn sie die große Liebe predigen.

Dienstag, 1. Dezember 2015

Matt Simons: Catch & Release (Deepend Remix)



US-Amerikanische Acts haben es derzeit in Deutschland nicht sehr leicht. Gerade werden sie sogar von den Kanadiern um einiges überrandet. Gerade mal ist es so eine Band wie Maroon 5, die es noch zu passablen Hits schafft. Oder es ist eben ein Song/Interpret/Act, der durch den europäischen Remixwolf geschickt wird. Das haben zuletzt Sigala mit Michael Jackson ganz ordentlich zelebriert. Und nun ist es also Matt Simons.

Ein bisschen countryesk kommt dieser Musiker daher, auch ein bisschen ursprünglich folkverliebt. Damit repräsentiert er ganz gut eine recht große Szene aktueller USamerikanischer Musik. Es ist immer noch und immer wieder der Stolz auf die eigene Nation, die Suche nach dem ursprünglichen und traditionellen Werten, die ja im schnellen und kulturell völlig durcheinandergequirlten Pop-Business verloren zu gehen drohen. Dagegen setzen viele – auch popaffine – Musiker*innen authentischen Sound, möglichst wenig hörbare Produktionstechnik, einfache Melodien und Texte.

So kommt auch Catch & Release daher. Die Sehnsucht nach dem Ursprünglichen, nach dem Wahren wird hier besungen. Nach der Lösung aller Rätsel: The place where one reveals life's mystery … Und die Gewissheit, dass es diesen Ort gibt, an dem man nur selbst sein kann. Völlig unabhängig von Fremdeinflüssen und Einwirkungen.

Das ist ziemlich viel gewollt. Auch ganz schön idealisiert und nah am Kitsch. Ein ordentliches Liedermacher-Märchen.

All das hat nicht so richtig gereicht, um den Song in Europa bzw. Deutschland populär zu machen. Warum auch immer, trifft es offenbar nicht das Lebensgefühl der Menschen hier. Ist der amerikanische Traum dann doch zu weit weg von uns, zu fremd?

Mit dem DeepHouse-Remix des niederländischen Projektes Deepend sieht das plötzlich ganz anders aus. Der Erfolg der Kombination melancholische Liedermacherproduktion im sanft-tuckernden Deephouse-Beat erweist sich weiterhin als die ultimative Mischung. Und führt diese Welle gleich in das dritte Jahr seines Supererfolges.

Samstag, 21. November 2015

Justin Bieber: Love Yourself



Ehm – schon wieder Justin Bieber? Was gibt es da noch zu berichten?

Na zum Beispiel, dass dieser junge Kerl nun offenbar auch in Deutschland nicht nur die pubertierenden Mädchen erreicht, sondern eine ganze Reihe anderer Menschen auch. Sein viertes Album Purpose ist gerade erschienen, erreicht aus dem Stand Platz 3 der Albumcharts – das ist noch nicht weiter sensationell – aber was sich in den Single-Charts tut, das lässt mich dann doch staunen. Acht Titel des Albums schaffen es in die Liste, drei davon in die Top 10. Mit dabei ganz neu und frisch Love Yourself, ein sparsam instrumentierter Abgesang auf eine Liebe, die sich als Einbahnstraße herausgestellt hat. Beziehungsvampirismus oder auch egoistisches Verhalten war da an der Tagesordnung.
Damit kommt Love Yourself ganz anders daher als die Vorgänger. Justin Bieber traut sich hier, nur auf seine Stimme zu setzen – und wird dafür belohnt und geliebt.

Ein bisschen könnte man das den Adele-Effekt nennen. Vertraue deinen Emotionen, produziere nicht zu viel drumherum. Die Menschen suchen in diesen Zeiten der Unsicherheit nach unverfälschten Aussagen, nach Ehrlichkeit und Authentizität.

Dass ausgerechnet Justin Bieber damit kommt – das ist tatsächlich ungewöhnlich. Der Teenie-Star, der alles Mögliche mitmachte, mitmachen musste, an dem eigentlich gar nichts mehr echt zu sein schien. Und jetzt also ganz unverfälscht und zurückgenommen.

Da klingen plötzlich auch die beiden Vorab-Auskopplungen nochmal ganz anders: What Do You Mean?, Sorry ... das sind genaugenommen schon richtig problembeladene Songs. Unverständnis, Kommunikationsschwierigkeiten und Entschuldigungen statt lustiges Leben, Trallalla und jede Menge Party. Die Generation Y (oder wie sie auch immer jetzt tituliert wird) hat also auch anderes im Kopf. Und vor allem ein Bewusstsein für Gefühle und Mitmenschliches.

Ist Justin Bieber doch mehr als ein hochgezüchtetes Kunstprodukt? Womöglich sogar ein Mensch?

Bei Love Yourself könnte eine ganze Menge an persönlicher Abrechnung drin stecken. Was wurde der kleine Justin nicht schon ausgenutzt und übers Ohr gehauen. Da ging es wahrscheinlich in den wenigsten Fällen um die Bedürfnisse des Sängers selbst. Und nun sagt er also: Fuck You!

Dass er das ohne großes Getöse und Wutausbruch macht, das lässt eine gute Portion Berechnung vermuten. Er schmeißt nicht einfach hin und trotzt sich durch eine rapide abstürzende Karriere wie so mancher deutsche Superstar. Er bleibt schön kuschelig und konsumierbar. Wenn man schonmal Idol ist, warum dann nicht den Ruhm auch auskosten?
Deshalb gibt es bei aller neuen und unerwarteten Ernsthaftigkeit, die auf dem Album Purpose zelebriert wird, eben kein Aussteigertum und Hippieness. Es gibt eine gewohnt bis ins Detail durchgestylte Inszenierung. Und der Song auf die neue Unabhängigkeit wird mit einem Video im Stile modernen Tanztheaters versehen.



Wo SIA in ihren Video-Choreographien die kaputte Gefühlswelt in brutal-verstörerische Bewegungen übersetzen lässt, da geht es bei Justin Bieder doch um einiges geschmeidiger zu. Da muss man schon in den Details lesen, um Missvertsändnisse und Streit sofort zu erkennen. Das könnte alles auch unbedarfte Neckerei sein, sieht ein bisschen nach Spaß aus und ungefährlich – nervt aber offenbar trotzdem genug, um einen Strich zu ziehen. Auch Verletzungen aus Unachtsamkeit schmerzen.

Auch ohne all diese aufgesetzte Interpretation ist Love Yourself das erwachsenste Stück, das Justin Bieber bislang aufgenommen hat. Nicht umsonst klingt es insgesamt auch ein bisschen so, als hätte hier Ed Sheeran das Mikro in die Hand genommen.

Und damit bin ich dann nochmal bei dem neuerlichen Erfolg, der verglichen mit dem Teenie-Hype der vergangenen Jahre wesentlich beständiger und umgreifender ist. Es sind eben nicht mehr nur die 14-jährigen, kreischenden Mädchen, die Justin Bieber hören. Es sind auch die, die vor fünf Jahren noch Teenies waren, nun aber fast schon mitten im Leben stehen. Und es sind vermutlich auch einige dabei, die bislang noch gar nicht viel mit dem Typen zu tun hatten und eigentlich auch nur so halb bei dem ganzen Tagespoptheater durchblicken. Tagesschlagermitläufer. – Das ist die Kategorie, in der Justin Bieber ab sofort einzuordnen ist. Ein bisschen Teenie-Star, aber schon ein ganzes Stück Mainstream-Pop-Artist. Im besten Sinne.
Das daraus noch eine ganze Menge mehr werden kann, das demonstrieren solche Beispiele wie Justin Timberlake und Robbie Williams. Mal schauen ob ich in 10 Jahren immer noch über Herrn Bieber schreibe.

Freitag, 13. November 2015

Zara Larsson: Lush Life

Da ist er also der Sommerhit aus Schweden: Sorglos-Pop für laue Urlaubsnächte. Unbekümmert, unbeschwert, arglos das Leben genießend – I Live My Day As If It Was The Last ... unverbindlich aus dem vollen schöpfend. Die KYGO-Tropical House-Glöckchen umspielen dieses Dasein gar lieblich und unterstreichen das Luxus-Gefühl.

Im sorgengeschüttelten Europa kommt das gut an. Ein glückliches Leben könnte doch so einfach sein, wenn man nicht ständig auf Widrgkeiten gestoßen würde, für man doch gar nichts kann. Wir feiern und singen also mit der 17-jährigen Zara Larsson und verschwenden keinen Gedanken ans Vorher oder Nachher.

Ich weiß gar nicht genau warum, aber die positiv-gutgelaunte Art des Gesangs erinnert mich enorm an Meghan Trainor. Vielleicht ist diese Unbeschwertheit einfach auch zu sehr verbunden mit einem farblosen Allerweltsgefühl, das für viele viele gilt und deshalb nichts so richtig meint. Da verwechselt man schonmal, wer da jetzt eigentlich über das überschwengliche Glück sein Liedchen geträllert hat.

So belanglos Lush Life musikalisch daher kommt, das Video zum Lied zeigt uns da komplett eine andere Herangehensweise. Da wird nämlich ganz ordentlich grafisch herumgespielt. Das war bei den großen Mainstream-Hits der letzten Zeit so gut wie gar nicht mehr der Fall. Schöne bunte Farben: Ja. Kindergartenüberzeichnete Figuren und Stylings: Auch ja. Aber dann nochmal mit dem Zeichenstift drüber gegangen und den Film künstlerisch animiert – das war schon fast ein vergessenes Stilmittel.



Positiv bleibt hängen, dass diese noch sehr junge Frau überhaupt keine Probleme hat, Chancen und Möglichkeiten auszuschlagen. Sie ist so selbstbewusst, dass sie nicht verkrampft danach hecheln muss, den Spatzen in der Hand festzuhalten. Und deshalb lässt sie ihn einfach wieder ziehen und freut sich über den nächsten Vogel, der ihr scheinbar ungerufen in die Arme fliegt.

Diese Gelassenheit ist umwerfend. Und nur möglich in einer Welt, die größere Probleme und Ungerechtigkeiten nicht kennt. Uns geht es tatsächlich ordentlich gut.

Freitag, 6. November 2015

Justin Bieber: Sorry



Es ist schon erstaunlich – Justin Bieber schafft es derzeit tatsächlich mit jeder Single-Veröffentlichung cooler zu wirken. Das liegt natürlich wesentlich am Produzenten Skrillex, der momentan so etwas wie die große Inspirationsquelle für den Teenie-Star darstellt. Immerhin war die Vorgängersingle What Do You Mean? auch schon ordentlich am Skrillex-Sound orientiert und die dritte Vorab-Auskopplung I'll Show You trägt auch seine Handschrift. Skrillex wiederum hat durch die Kooperation mit Diplo/Major Lazer in den letzten Monaten auch nochmal sein Austrucksspektrum ordentlich erweitert. Hübsch, was solch ein Austausch über die Genre- und Szenegrenzen hinweg für Ergebnisse zeitigt. Da kann man glatt das grenzdebile Tanzvideo zu Sorry völlig vergessen und sich trotzdem an der neuen Single freuen, die ja das kommende Bieber-Album Purpose bewerben soll.

Die kleinen Mädchen, die auf der Suche nach ihrem eigenen Stil sind, kommt so ein durchchoreographiertes Filmchen natürlich genau richtig. Da kann man sich coole Bewegungen abgucken und hat auch gleich noch den Ultra-Style, der einen frech und sexy aussehen lässt. Zumindest wenn Mann unter 20 ist. Oder steht Mr. Bieber wirklich auf solche Gören?

Und damit wären wir in der Gossip-Spalte, die zur Popstar-Figur Justin Bieber und seinem Erfolg untrennbar gehört. Was wäre das für einer, wenn es die vielen Posts und Tweets und Stories nicht gäbe? Dann würde vermutlich niemand auch nur ein Ohr an Sorry verschwenden. Schade wäre es um diesen einen Song dann doch schon. Wie gesagt: Gut, dass es Skrillex gibt und er sich hier nochmal einem breiten Publikum vorstellen kann. Das könnte in nächster Zeit also noch ganz spannend werden, wenn auch andere Stars ihre Songs ihm zur Bearbeitung überlassen.


Samstag, 31. Oktober 2015

Adele: Hello



Fast hätte ich veregessen, dass es neben dem Sorglos-Deep-House und weinerlichen Liedermacher-Gesang (gern auch in einer Rap-Version) noch eine weitere erfolgsgewichtige Musikströmung in den 10ern existierte. Die soulful ballad (bei wikipedia findet man auch den Begrif "Power Ballad".

Wie auch immer – irgendwie war diese Stilform kaum noch wichtig für mich, obwohl natürlich solche Künstler wie Sam Smith beständig präsent waren. Es brauchte doch erst die Rückkehr von Adele um mich wachzurütteln: Da war doch noch was!

Mit Hello gelingt es der Sängerin eindrucksvoll drei Jahre ungeschehen zu machen. Sie knüpft einfach da an, wo sie 2011 mit 21 aufgehört hat. (Das kleine Skyfall-Intermezzo nehmmich hier mal aus.) Wenn ich Someone Like You (das sich immer noch in d´meiner aktuellen mp3-Playlist befindet) oder Turning Tables mit Hello vergleiche, dann scheint es tatsächlich so, als wäre das letzte Album erst gestern veröffentlicht worden. Und das Ungewöhnliche daran ist, dass Hello trotzdem ganz schnell überzeugen kann.

Es ist vor allem wieder Adeles Stimme und ihre authentisch-gefühlvolle Art zu singen, die mich einnehmen und aufhören lassen. Hello ist so intensiv, als wäre es die erste Erfahrung von Verlust und Bereuen. Konzentriert auf die Sängerin selber singt sie sogar den Begleitchor und die Streicher an die Wand. Das ist sehr konsequent.

Und ich behaupte, diese Konsequenz ist es, die Adele tatsächlich zu einer Ausnahme-Künstlerin machen. Da wo sich alle möglichen Stars und Sternchen immer wieder neu erfinden müssen und im Jahresrhythmus ihr Image ändern, da arbeitet Adele an Material, konzentriert sich auf Songs oder Produktionen. Die Geschichten über ihre Schreibblockade in der Vergangenheit und den Verzicht, irgendetwas aufzunehmen passt genau zu ihrem Unbehagen, vor Riesen-Stadien aufzutreten oder der tatsächlich durchgezogenen Pause. Adele macht nichts, was sie nicht auch 100% meint. Produzenten und Managern zum Trotz. Und deshalb wird es auf ihrem nächsten Album eben nur einen Song von Ryan Tedder geben und die Max-Martin-Produktion ist offenbar rausgeflogen. Wer würde sich so etwas trauen?

Adele setzt hier selbst die Maßstäbe und ist genau deshalb so überzeugend. Unter diesem Aspekt darf man sich dann auch das Video von Xavier Dolan anschauen, in welchem Tristan Wildes als ihr Gegenüber und Ex-Liebhaber auftritt.



Bei allem Schwarz-Weiß und eingestaubtem Interieur, mit der Besetzung allein ist das Video alles andere als altmodisch. Die Paare zwischen Schwarzen und Weißen im aktuellen Medienrummel kann man an wenigen Fingern abzählen. Hautfarbe macht immer noch einen Unterschied. In Hello geht das dagegen ganz selbstverständlich - und das ist hier die politische Dimension, die ganz unterschwellig mitgeteilt wird.

Schön wär's, wenn sich mehr Musiker*innen genau das auch trauen würden.


Freitag, 23. Oktober 2015

Felix Jaehn Feat. Polina: Book Of Love



Hit Nummer drei für den Shooting-Star des Jahres 2015 Felix Jaehn. Und wieder ist es eingängig solide Kost. Allerdings das erste Mal eine eigene Komposition – der DJ erweist sich als durchaus vielfältig talentiert. Da hat er einigen seiner Kollegen einiges voraus. Vielleicht ist das auch der Grund, warum man über das dann doch allzu bekannt klingende Glöckchen-Marimba-Geklingel bei Book Of Love hinweghören sollte. Denn auch Tropic-House hat nach drei Hits von KYGO und mindestens 100 Nachahmern seinen kreativen Zenit bereits überschritten.

Dazu ein Gitarrensample aus der Saison 2014 zu packen ist ebenfalls reichlich gewagt. Vielleicht gehen Felix Jaehn ja dann doch schon die Ideen aus?
Immerhin setzt er mit der Sängerin Polina Goudieva auf eine unbekannte Stimme und ein unbekanntes Gesicht. Aber das war's dann auch schon.

Nun ist Felix Jaehn innerhalb sehr kurzer Zeit zu so etwas wie einem Superstar geworden. Das Video sagt alles. Kann schon sein, dass es in dieser Situation schwer ist, aus sich heraus etwas Neues zu entwickeln. Oder einfach das zu machen, was einem gefällt. Die Gefahr ist jedenfalls hörbar vorhanden, dass der junge Mann gleich nur noch nach Schema Erfolg produziert. Das wär' eigentlich schade.



Wenn man etwas finden will, das an Book Of Love besonders ist, dann sollte man sich den Text anschauen. Der spielt bei vielen Deep-House-Hits keine große Rolle, weshalb sich die verbreiteten, biederen Botschaften auch besonders gut unbemerkt festsetzen. In Book Of Love ist das ein wenig anders. Auch hier geht es um die Generation Sorglos, die gerade im Liebeslebensgefühl schwelgt. Schön ist aber, dass es ganz konsequent nur auf den Augenblick bezogen ist. Nichts da mit schlageresker Ewigkeitsromantik. Und nichts mit Versprechen und Heirat und Kinder ... Einfach nur: Jetzt!

I wanna be a chapter in your book of love heißt nämlich auch: Da gibt es noch viele andere Kapitel, also Lieben und Beziehungen. Vielleicht auch nicht, vielleicht sind es dann doch immer die selben zwei, die sich da ein Stück Leben teilen – das stellt sich ja immer erst mit dem nächsten Kapitel raus. Und vielleicht ist es am Ende dann wirklich die erfüllte, lebenslange Liebe von der immer alle träumen. Und wenn nicht, dann war es wenigstens für die Tage oder Wochen, die es dauerte die ganz ehrliche und aufrichtige. Das reicht manchmal schon für sehr sehr lange.

Also da ist schonmal etwas ganz gut gelaufen. Scheint so, als ob Felix Jaehn eben doch der coolere von den deutschen Deep House DJs ist.

Freitag, 16. Oktober 2015

LOUANE: Avenir



Dass französische Songs sich richtig gut in deutschen Landen verkaufen kommt nicht so oft vor. Irgendwie ist die Sprache für viele dann doch zu verschwurbelt, mysteriös oder was auch immer. Dass es funktionieren kann, hat zuletzt stromae ganz schön demonstriert. Und damit gleich noch den Blick auf ein zumindest halb französischsprachiges Land gerichtet, dass sonst eher unter dem Radar der deutschen Musikkaufenden lag. Dabei gibt es schon einiges aus Belgien zu entdecken. Vive la fête zum Beispiel.

Zurück nach Frankreich: International erfolgreiche Musik von dort ist derzeit mit solchen Acts verbunden wie Daft Punk oder David Guetta, in letzter Zeit vielleicht auch mit DJ Snake. Das und der französische Chanson im Stile eines Serge Gainsbourgh oder Sebastien Tellier waren und sind die musikalischen Visitenkarten Frankreichs.

Und dann gibt es da noch eine Form von Musik oder Liedchen, die sich scheinbar unabhängig von allem, was in der Welt (und auch in Frankreich) passiert, unverändert hält. Indila, Alizée und auch ZAZ gehören dazu. Junge Frauen, Mädchen, die irgendwie sorglos ihre Liedchen trällern und dabei mehr oder weniger bewusst auf Lolita machen. Und neuerdings gehört dazu auch Louane.

Auf wikipedia wird mitgeteilt, dass sie in Frankreich durch ihre Teilnahme bei The Voice bekannt wurde, in Deutschland dürfte es eher der Film Verstehen Sie die Béliers? gewesen sein. Und ihr derzeitiger Hit Avenir, der es mit etwas Verzögerung dann doch in die Playlists der Servicewellen geschafft hat und uns recht penetrant durch den Tag führt.

Verblüffend bis erschreckend ist an dem Titel die oben schon beschriebene Unbekümmertheit. Musikalisch versucht es gar nicht erst auf clevere Pop-Produktion zu machen. Es tut ganz unschuldig und bodenständig, naiv ohne irgendwelche Absichten. Und bedient sich dabei reichlich ungeniert eines schlageresken Mitsing-Refrain plus einer Instrumentierung samt Produktion die ein fast identischer Aufguss von Lisa Mitchells Neapolitan Dreams aus dem Jahr 2009 ist. Das kenn' ich alles und hab es deshalb schnell im Ohr.
Hat sich also gar nichts getan im Business. Bisschen Klingklang, eine melancholisch-traurige Story (ja, es geht hier darum, verlassen zu werden ... und trotzig weiterzumachen) und ein fluffiger Beat. Fertig.



Was den Mädchen-Pop jetzt wieder so erfolgreich macht ist vielleicht die extrem zur Schau gestellte Sorglosigkeit. Laut Shell-Studie ist das ja gerade eines der beherrschenden Wesenszüge heutiger Jugendlicher. Und es passt auch ganz gut zum unbedarften DeepHouse-Lebensgefühl à la Klingande, Robin Schulz etc.

Trotz Verlust und Trennung ist Louane also gut drauf, schaut optimistisch in die Welt. Zeigt allen den Mittelfinger und geht weiter ihren vorgezeichneten Weg. Grundsätzlich ja eine sehr coole Haltung. Sich einfach nicht fertig machen lassen von Rückschlägen. – Nur das Schlagertussihafte Waoh Waoh Waoh ist mir echt zu viel. Das klingt enorm nach "Ich sing mir mal meine Probleme schnell weg." Wo mir die Worte fehlen, muss ich zu La-la-la greifen. Damit kann ich die Welt um mich rum gut ausblenden, ich muss nur oft genug das Lalala wiederholen.

Spontan fällt mir an dieser Stelle noch ein Vergleich ein: Hat nicht Lena gerade genau dieses Waoh Waoh Waoh als Mittel zelebriert? Scheint wohl doch eine europäische Haltung zu sein...

Samstag, 10. Oktober 2015

Sigala: Easy Love



He is back: Mr. Michael Jackson.
Natürlich nicht höchstpersönlich und himself, sondern eine clevere Remix-Variante, die das Original dann wohlweislich verschweigt, denn wer kümmert sich heut schon noch darum, woher was stammt. Ist ja eher irrelevant. Hauptsache es funzt.

Easy Love scheint genau das zu tun: Einzuschlagen und das gebeutelte europäische Volk mit Glückseligkeit zu verwöhnen. So einfach ist es: Ein House-Beat mit 90er Piano, ein 70er Sample, ein Kindervideo in kakelbunten Farben und natürlich auch ein paar zackige Choreographien wie aus dem 80er Musikdrama Beatstreet. Zitatenmischmasch pur, der alle erreicht: Die Nostalgiker genauso wie die Clubgänger, die Radiohörenden und die Computernerds. Je nachdem wie bewusst das alles zusammengerührt wurde, gebührt dem Produzenten Sigala Bewunderung. Oder zumindest das Zugeständnis, dass er ganz treffsicher die Zeichen der Zeit erkannt hat.



Und so wird also auch der King of Pop gnadenlos ins nächste Jahrzehnt gebeamt. Puristen dürfen hier gern auch darüber herumwundern wie gnadenlos das geschieht. Wenn wir jetzt genauer hinter die Hitfabrik Jackson 5 schauen und dann dazu die vermeintlich fröhlichen Kinder in der Inszenierung betrachten, dann lässt sich durchaus auch ein eiskalter Zynismus erkennen. Da werden die 10er richtig blaß dagegen.

Sehr viel mehr gibt es dann zu Easy Love auch gar nicht mehr zu sagen. Höchstens noch, dass dieses Rezept des postmodernen Mixtopfs selbst auch schon einige Jahre auf dem Buckel hat. Und erfolgreich war. Zum Vergleich empfehle ich mal den 2010er Track My Feelings For You von AVICII anzuhören. Das ist – auch wenn das Sample hier im Original von Gwen McCrae stammt – nahezu identisch mit Easy Love. Sigala packt nur ein bisschen mehr Radiotauglichkeit drauf und hat Glück, dass die Klingeling-Refrains nach mehreren Hits von KYGO fest etabliert sind im mitteleuropäischen Gehör.

Wer es etwas weniger kommerziell und nervend mag, der/die muss sich die Remixe von Easy Love zu Gemüte ziehen. Zumindest der von DJ Zinc liefert da ein paar ganz schöne und etwas düstere Nuancen.


Freitag, 2. Oktober 2015

Glas-Perlen-Spiel: Geiles Leben

Bisher habe ich mich ganz erfolgreich davor drücken können, Glasperlenspiel hier in die Rubrik zerren zu müssen. Damit ist es nun aber vorbei. Denn Geiles Leben, die aktuelle Single des Duos, mausert sich gerade zum erfolgreichsten Hit der beiden. Segelt im derzeitigen Deutschpop-Hype munter in die Top 5 der Verkaufscharts.

Und da sitz' ich nun, halte mir die Ohren zu, weil ich die Biederkeit der Texte nicht ertrage. Und ich frage mich was ich gerade schlimmer finde, dass das Ganze fröhlich-debil an seichten Schlager-Gewässern entlangschippert oder dass die beiden sich permanent diesen intellektuellen Anschein geben?
Helene Fischer und Gestört aber Geil sind mit Sicherheit kein bisschen mehr erträglicher, aber wenigstens stehen sie zu dem, was sie da tun. Da gibt es keine Verklärung und auch keinen Schmus drumrum. Das soll einfach krachen – ganz grundsätzlich, einfach und auf der untersten Stufe. Tut es dann auch meist, vorausgesetzt, man hat genug Alkohol intus.

Glasperlenspiel erzählen mir schon mit ihrem selbstgewählten Namen, dass sie die Weltliteratur kennen und Abi haben. Na bravo!
Und weil es bei Hermann Hesses Roman mehr oder weniger um Erziehung geht, haben sich also auch Glasperlenspiel der Belehrung verschrieben. Mit ihrem ersten Hit Echt vor vier Jahren, da war schon ein gesellschaftskritischer Ton dabei. Es ging um das Wahrhaftige, das Absolute, das Perfekte – das sich in einem einzigen Moment manifestieren kann. (Schlagerweltsicht > siehe Helen Fischer)
Schon damals hab' ich gedacht: Schöne Idee, schöner Ansatz – nur nicht bis zu Ende gedacht. Echtheit, Wahrheit, Objektivität, das sind so schöne idealisierte Konstruktionen, die sich ganz schnell auflösen, wenn man versucht sie festzuschreiben. Da kommt man durchaus auch drauf, muss man nur seine Ideen mit dem wahren Leben und Gefühl abgleichen.

Dann kamen die Oden an die Freunde der Kindheit, das Festhalten an den Wurzeln, die Oden an die Heimat. Ich bin so stolz, Baden-Württemberger zu sein!
Völlig ignorierend, dass es gerade heute nötig ist, sich verändern zu können, flexibel auf die unmöglichsten Herausforderungen zu reagieren und damit Neues zu ermöglichen. Davor haben die beiden Stars aus dem 16.000-Seelen-Ort Stockach aber eher Angst. Zu Hause ist nur da, wo man herkommt. Das ist echt.

Und nun erklären uns Carolin Niemczyk und Daniel Grunenberg also, dass die Welt viel zu oberflächlich ist. Und dass so ein Leben niemanden erfüllen kann.

OK - ich kenne sie auch diese Hohlköpfe, die denken mit viel BlingBling und Party ohne Ende ist das Lebensziel schon erreicht. Ist nicht mein Style. Aber auch nur, weil ich eben an anderer Stelle das finde, was mir Erfüllung gibt. Deshalb maße ich mir nicht an, die Partygesellschaft zu belehren und von meinen Ideen zu überzeugen. Sollen Sie tanzen und feiern – so lange sie mich nicht zwingen permanent mitzumachen kann ich sehr gut damit leben.

Bei Glasperlenspiel fühle ich mich ganz schnell so, wie kürzlich gegenüber dieser Lehrerin, die mir auch permanent erklärt hat, was ich falsch mache und was ich besser zu tun habe. Hallo? Hab' ich eigentlich darum gebeten? Irgendwann ist auch gut mit der Schulpflicht. Das sollten die beiden von Glasperlenspiel eigentlich auch mal begreifen. Wenn ihr Bock habt auf weniger Luxus, na dann macht es doch. Aber versucht nicht, alle anderen davon zu überzeugen, dass der Verzicht viel geiler ist.
Oder wenn ihr es schon nicht lassen könnt mit dem missionieren, dann macht es mit ein paar richtigen Argumenten. Die gibt es nämlich haufenweise.

Aber da muss man sich dann vielleicht doch zu sehr anstrengen. Und kommt eventuell auf nicht ganz einfach Konsequenzen. Glasperlenspiel machen da lieber doch auf Party. Wohlgemerkt: Spießerparty. So ein bisschen Deep-House-Style darf es schon sein. Und sowieso finden sie die Pop-Lounge-Nummer ganz schön. Rosenstolz sind bestimmt wahnsinnig glücklich über diese Nachfolger. Alles immer hübsch inszeniert, mit einer ordentlichen Portion Seichtheit ... fertig ist die Kritik, die niemandem weh tut.



Dem deutschen Volk gefällt das ganz gut. Wir sind ja grade sowas von selbstkritisch: Hilfsbereit und offen, aber auch traditionsbewusst und wirklich nicht der Lückenbüßer für alle. Wir wissen wie das geht mit dem erfolgreichen Leben und können uns hübsch aufregen, wenn sich jemand zu offensichtlich nicht an die Spielregeln hält. Das einzige was uns fehlt ist Empathie für andere, Verständnis dafür, dass es auch andere Konzepte geben könnte als unsere eigenen. Das ist ja auch nicht einfach zu verstehen. Da braucht man dann schon etwas mehr als nur ein BWL-Studium. Da braucht man Erfahrung, vielleicht auch mal das Erleben von etwas ganz anderem. Da reichen zwei Jahre Stuttgart nicht. Wie wär's mal mit Dar-es-Salaam oder auch Arauco?
Und man braucht auch eine Haltung, die auf Eitelkeit verzichtet. Das ist nicht so einfach.

Glasperlenspiel haben das alles nicht. Sie halten sich fest an ihren Gewohnheiten und den klaren Grenzen ihrer bekannten, kleinen Welt. Damit es nicht so sehr auffällt, greifen sie auch mal in den Topf mit Zynismus. So kann man sich offenbar auch heute noch gut inszenieren. Auch wenn das eine Haltung ist, welche eher die 00er bestimmt hat. 2015 geht irgendwie anders.

Freitag, 25. September 2015

LENA: Wild & Free

Ich weiß nicht, wie toll und gut es wirklich ist, einmal erfolgreiche Filme mit einer Fortsetzung zu versehen. In den meisten Fällen ist Teil 2 ja eher so ein mäßiger Aufguss des Überraschungshits, die Witze sind ähnlich, die Story meistens völlig daneben und die Schauspieler ... naja, das kommt dann halt drauf an, wen man da vor der Kamera hat.
Bei Fack ju Göhte 2 hab ich den Eindruck, dass es so ähnlich ist – aber das dürfen andere einschätzen. Erfolgreich ist der zweite Teil jedenfalls bis zum Abwinken: Umsatzreichstes Startwochenende aller Zeiten, schon jetzt erfolgreichster deutscher Kinofilm des Jahres 2015, drei Millionen Besucher innerhalb von neun Tagen ...
Sagt natürlich alles auch erstmal nicht sooo viel über die Qualität aus, sondern eher über die Neugier auf den zweiten Teil, also eigentlich über den Kultstatus des ersten Teils. Wie auch immer. Fakt ist, mit dem Riesenerfolg von Fack ju Göhte 2 geht auch die Filmmusik gut weg. In diesem Falle Wild & Free von LENA. Und das beschert der Söngerin einen sechsten Top 10-Erfolg innerhalb von etwas mehr als fünf Jahren – sie ist damit die mit Abstand erfolgreichste Künstlerin aus Deutschland der 10er.
Na gut, Helene Fischer hat insgesamt mehr Wochen in den Top 10 verbracht, aber eben auch nur einen einzigen Hit gehabt. Sucht euch selbst aus, was mehr wert ist.

Abgesehen vom Erfolgslevel: Was genau treibt eigentlich die Produzenten des Films zu Lena?
Auf den ersten Blick und ganz spontan sag ich: Teenie-Star für Teenager-Film. Aber das ist natürlich völlig falsch. Fack ju Göhte ist ja eher ein Film für die jetzt doch nicht mehr Teenies, die sich aber gern noch an ihre wilde Schulzeit erinnern. Oder auch Lust dran haben zu verfolgen, wie doof oder frech oder cool die Jugendlichen heute sind. Und das ist ja Lena auch irgendwie, vor fünf Jahren war sie noch das Abiturientenmädchen, das ganz naiv aber mit viel authentischem Charme zum Eurovision-Contest fuhr und dort alle überwältigte. Nach fünf Jahren ist sie zwar immer noch ordentlich jung, aber naiv bestimmt nicht mehr. Und das mit der Authentizität ... naja, das ist wohl auch normal im Pop-Business, dass bei andauernder Medienpräsenz sich eben doch eine gewisse Professionalität einstellt. Das heißt ja nicht, dass alle Natürlichkeit verloren geht. Sie ist nur etwas bewusster eingesetzt und an der einen oder anderen Stelle vielleicht doch etwas korrigiert: Wer will schon ein Leben lang auf kleine Abiturientin machen?

Lena also wird erwachsener. Im Video ist mir das schon ein bisschen zu viel. Ein klein wenig zu viel Make up, eine Winzigkeit zu viel Styling, ein bisschen zu sehr inszeniert und auch genau ein Paar Ohrringe zu viel. Aber gut, so passt sie eben besser an die Seite von Smartie Elyas M'Barek, der ja immerhin knapp zehn Jahre älter ist, auch wenn er das eigentlich immer irgendwie versucht zu überpielen. Im Film zumindest. – Wenn man die beiden so nebeneinander sieht, dann kann man schon sagen: Schönes Paar.



Erwachsener ist auf alle Fälle Lenas Sound. Da hat sich zwischen Stardust und ihrem jüngsten Album Crystal Sky doch einiges getan. Die ganz große Verspieltheit weicht eher einem bewussten Ausprobieren. Das ist durchaus auch noch spielerisch, aber nicht mehr ganz so auf gut Glück oder aus einer spontanen Lust heraus.

Bei Wild & Free ist es dann obendrein natürlich alles noch etwas filmmäßiger und größer – und das lässt dann Lenas Gesang auch gewichtiger erscheinen. Hier will eine Frau ganz deutlich und ohne Zweifel Popmusik machen – Musik, die für viele Menschen eine Bedeutung bekommt und durch schöne Momente des Lebens begleitet. Gut produziert, mit Selbstbewusstsein aufgenommen und inszeniert. Ich würde sagen, das gelingt ganz gut. Ellie Goulding könnte es nicht besser.

Das einzig Problematische an Wild & Free ist eigentlich nur die Frage: Was wäre der Song wert ohne Einsatz in einem supererfolgreichen Film? Bringt diese Produktion aus sich heraus ein Momentgefühl, ein Zeitempfinden konsequent auf den Punkt und spricht uns sozusagen direkt aus dem Herzen, dem Bauch oder der Seele?
Hier habe ich ein wenig meine Zweifel. Der wirklich große Moment, die totale Faszination bleibt für mich bei Wild & Free eher aus. Na gut, das ist ja wirklich auch ein ziemlich großer Anspruch und hat dann auch enorm viel mit Zufälligkeiten oder subjektiven Situationen zu tun. Oder auch mit eiskalter Berechnung. Wahrscheinlich ist da der klassische Weg der Lena-Popmusik doch der sympathischere.

Freitag, 18. September 2015

R•City Feat. Adam Levine: Locked Away

Es ist schon ordentlich unfassbar wie oldschool und altmodisch ein aktueller Hit aus den Vereinigten Staaten klingen kann. Grad hab ich das Gefühl, wir schrieben das Jahr 1999 oder vielleicht grad mal so 2001. Irgendwer oder irgendwas muss da eine Zeitschleife eingebaut haben oder den beiden Brüdern von Rock City verboten haben, auch nur ein Zipfelchen sich zu entwickeln. Ich höre also Locked Away und bin nur erstaunt über derartig unverstellte Langweiligkeit.

Dass Reggae so allmählich wieder salonfähig wird, hat sich im letzten Sommer mit MAGIC! schon angekündigt. Allerdings lebte Rude ja ganz wesentlich von dem Fun-Faktor der bescheuerten Geschichte. Das war leichte und alberne Sommerkost – da passiert schonmal ein musikalischer Ausrutscher. Dann folgte im letzten Winter OMI mit Cheerleader – das war vor allem durch den Felix Jaehn-Remix ein Muss. Und nun ist es Locked Away – wofür es nun aber wirklich keine Ausrede mehr gibt.

Jamaican Reggae ist wieder stylish. Und ich verstehe es nicht. Da gab es doch in den 2000ern die wunderbar schnoddrige Dancehall-Variante, die sich zum Ende der 00er in den ordentlich überdrehten Raggaton hochpeitschte. Produzenten wie DIPLO aka Major Lazer haben hier ihre Heimat und die Stilrichtung permanent fortgeschrieben, neu definiert, umgekrempelt... Warum greift dann ein Duo so altbacken und verstaubt auf eine Version zurück, die mit dem Jahr 2015 am liebsten gar nichts zu tun haben will? Ein bisschen Rock / Pop reingemischt und das war's dann schon? Das ist alles andere als aufregend. Da hat Produzent Dr. Luke aber auch ordentlich wenig an Ideen hineininvestiert.

Klar kenn' auch ich all die Retro-Teens, die wieder auf 60er machen und Doo-Woop oder Funk ausgraben. Die sind mit ihren Entdeckungen in alten Kellergewölben oder Omas Plattenschrank allerdings wirklich auf der Suche und graben vergessene Schätze aus. Bei Rock City ist es ja eher so, dass dieser Sound von Pop-RnB-Reggae in den Mainstream-Bedudelungs-Medien immer noch der Standard ist. Von Neuentdeckung oder Wiederbelebung kann hier also nicht die Rede sein. Eher ist es so eine lebensverlängernde Maßnahme mit künstlicher Ernährung und Tropf.

OK – in Locked Away geht es ja irgendwie auch um eine alte Frage. Nämlich um die, ob ich wirklich geliebt werde. Mit all meinen Fehlern und Schwächen. Es geht um Sicherheit. Und das ist ja ein Konzept, dass bei all den Umwälzungen und Unverbindlichkeiten der modernen Welt für viele äußerst verlockend und erstrebenswert scheint. Wenn's also richtig kracht und ich lebenslänglich in den Knast muss, dann würde mir eine Person, die trotzdem zu mir hält helfen, den Rest des Daseins zu meistern. Hat auch ein bisschen was von: Wenn ich mein eigenes Leben schon nicht in den Griff kriege, dann sollst du wenigstens mit mir leiden und auch nicht ganz glücklich sein. Geteiltes Leid ist halbes Leid.

Ist ja irgendwie auch schön. – Nur so als direkte Frage, fast schon Forderung oder Versprechen find ich es einigermaßen krass. Zumal die meisten im Video gezeigten Situationen direkte Folgen von ganz persönlichen Entscheidungen sind. Ob ich nun zu den Marines gehe und mich für einen Auslandseinsatz melde, ist wesentlich von mir abhängig. Ob ich klaue oder Drogen nehme ist in den meisten Fällen auch etwas, was ich bewusst angefangen habe. Schön, wenn mir Menschen in solchen Situationen trotzdem verzeihen und zu mir halten. Aber auch ganz schön einfach, wenn man immer weiß, dass man alles machen kann was man will. Mit Verantwortung ist da nicht viel.



So schliddert Locked Away also schön am massenkompatiblen Soap-Drama entlang. Die eigentlich einsam machenden Dinge wie unverschuldete Krankheit, Behinderung, Unfall, Verleumdung, die kommen weder im Song noch im Video vor. Und das ist das eigentlich öde an dieser Produktion. Da kann man nämlich nicht einfach sagen: Ich verzeih dir, und alles ist vergessen. Da geht es schon eher ans Eingemachte. So jemand wie Hoozier traut sich was zu riskieren, wenn er fragt: Wirst Du noch zu mir halten, wenn mich die Nazis verprügeln und demütigen? – Über so etwas wollen Rock City aber lieber nicht nachdenken.

Und das hat vermutlich einen ganz guten Grund. Denn Reggae hat ja durchaus auch eine unrühmliche Tradition. Es gab und gibt da immer wieder eine recht starke und präsente Homophobie, auch die Gleichberechtigung von Mann und Frau ist eher etwas, das gern nicht so ernst genommen wird. Und wenn man ein bisschen sucht, wird man auch bei allerlei anderen Diskriminierungsarten fündig. So schlimm ist es bei Locked Away jetzt nicht, aber ein eher konservatives Weltbild wird da schon zelebriert. Schwarzer Mann ist natürlich mit einer schwarzen Frau zusammen, der brave US-Marine hat natürlich eine Sternenbanner-Flagge im Haus hängen und für's Geld Heranschaffen ist immer noch der Kerl verantwortlich. Immerhin darf der starke Krieger ein paar Tränen zum Abschied in den Augen haben. Das ist so ziemlich der einzige Moment, in dem ein winziger Bruch zum traditionellen Macho-Weltbild deutlich wird.

Tja, warum soll ich mir also diesen Titel reinziehen? Nur weil Adam Levine mitmischt? Hmm – also auch wenn ich unbedingt gewillt bin, ihm derzeit alles Mögliche zu vergeben, erträglich macht es den Titel nicht wirklich.

Samstag, 12. September 2015

Die Ärzte: Schrei nach Liebe



Zu diesem Song und der Aktion Arschloch muss man nichts mehr sagen. Sogar die Washington Post hat darüber berichtet, dass 22 Jahre nach seiner Erstveröffentlichung der Anti-Nazi-Song Platz 1 der kommerziellen Singles-Charts in Deutschland erreicht. Man muss vermutlich auch nichts mehr darüber erzählen, wie bei Erstveröffentlichung die Plattenfirma Metronome zweifelte, ob es marketingtechnisch gut sei, diesen Song als ersten nach fünf Jahren Pause zu veröffentlichen ... Die Ärzte zeigten sich 1993 politisch und sind es 2015 genauso.

Spannend an der Aktion und deren Erfolg ist das, was sich als Effekt einstellt. Kaum beginnt die Welle der Download-Sympathie zu rollen und die ersten Medienberichte erscheinen, da zeigt sich die Politik in der Figur von Angela Merkel solidarisch und öffnet die Grenzen für in Ungarn wartende Flüchtlinge. Nicht unumstritten die Entscheidung, politisches Getöse vor allem aus Bayern, aber auch Überraschung und leichte Nachahmereffekte in Westeuropa.

Und innerhalb weniger Tage dreht sich auch im Medien- und Pop-Business die Stimmung radikal. Während es bis vor gut zwei Wochen nur wenige Ausnahmen waren, die sich eindeutig gegen Fremdenhass einsetzten – Roland Kaiser zum Beispiel in Dresden im Januar, Til Schweiger im Sommer – ist es jetzt schick und schon fast ein Muss, sich Anti-Nazi-Pro-Flüchtling zu positionieren. Joko & Klaas tun es genauso wie die nicht ganz einfache und früher durchaus mit Rechts liebäugelnde Band Frei.Wild. Ohne an dieser Stelle behaupten zu wollen, dass die Ärzte bzw. der Musiklehrer Gerhard Torges die Auslöser für diese öffentliche Solidaritätswelle waren – das waren Sie keineswegs - aber der massenweise Erfolg steht nunmehr als Zeichen für ganz viele andere Aktionen und Künstler*innen. Und irgendwie auch für ein politisches Deutschland. Eines, dass sich positioniert, sogar wenn es nicht ganz einfach ist und vielleicht auch das eine oder andere Problem ergibt.

Dass ein politisches Ereignis einen Nr.1-Hit fabriziert, das gab es zwar schonmal, aber auch nicht allzu oft. Enya mit Only Time war nach den Anschlägen vom 11. September 2001 der Titel, auf den sich alle einigen konnten. Und 1990 waren es die Scorpions mit Wind of Change, die eine politische Umwälzung an die Spitze der Hitparaden brachte. Na gut, im Dezember 2014 gab es auch Band Aid 30 und es gibt sicher noch einszweidrei andere Beispiel – Alltag ist es aber auf gar keinen Fall.

Im Gegenteil hatte sich gerade in den 2000ern eine unglaublich apolitische Feier- und Genusshaltung im Popbusiness durchgesetzt. Gesellschaftliche Themen oder überhaupt nur ein Interesse an irgend einem sozialen Fakt war viele Jahre fast schon No Go. Luxus, Drogen, Selbstverliebtheit, Katzenbilder und Blingbling – das war der Nenner auf den sich die erfolgreichen Acts und Produzenten verständigten. Erst in den vergangenen dreivier Jahren gab es wieder vereinzelte Anzeichen dafür, dass auch tiefgründigere Äußerungen ein größeres Publikum erreichen können.

Nun also ist diese Haltung sogar Nummer 1, damit irgendwie auch Konsens, natürlich mit all den Pop- und Verwässerungseffekten, die mit so einer Massenbewegung einhergehen. Wie offen und hilfsbereit sind all die Menschen, die den Song gerade kaufen. Würden Sie für die Unterstützung von flüchtenden Menschen auch auf einen Teil ihres Luxus verzichten? Und wenn es dann nicht nur die Kriegstraumatisierten sind, die nach Deutschland kommen, sondern vielleicht doch auch einige, die eher vor Armut und Hunger fliehen...?

Trotzdem: Irgendwie find ich diese Renaissance von Schrei nach Liebe nicht verkehrt. Sie macht mich sogar ein bisschen glücklich. Es gibt noch Anteilnahme und Solidarität. Die ewigen Schwarzseher haben nicht recht. Wahrscheinlich wird diese ungewöhnlich deutliche politische und gesellschaftsbewusste Haltung kein Dauerphänomen sein. Aber vielleicht wenigstens für ein paar Wochen. Das wär ja schonmal was.


Dienstag, 8. September 2015

Justin Bieber: What Do You Mean?

Justin Bieber wird erwachsen - so beschreibt es zum Beispiel James Masterton in seinem Chartblog und wundert sich, dass ihm die neue Nr.1 der britischen Charts sogar gefällt.

Nun ja, das ist nun schon ordentlich weit ausgeholt. What Do You Mean? präsentiert nämlich immer noch vor allem den romantischen Mädchenliebling. Er darf schmachtvoll und jugendlich zart seinen Text hauchen, immer auch ein bisschen unsicher in seinem Ausdruck. Liebt sie mich wirklich? Oder doch nicht? ist die Verweigerung ernst gemeint oder nur ein Spiel? Und was soll das überhaupt heißen: Du musst dich entscheiden?

So viele Fragen und so viel Ungewissheit. Das macht Jugendliche wirklich ganz schön fertig. Wo sie doch eigentlich alles wollen. Sofort. Und ohne Kompromisse. Also greift Justin Bieber zu einem Trick. Er beauftragt einen Haudrauf-Buben, einen gemeinen Überfall, eine Entführung zu inszenieren und so den Vertrauensbeweis, das Liebesgeständnis, die ultimative Verbindung zwischen den beiden zu erzwingen.



Geht alles gut, sie vertraut ihm, springt ... und ist am Ende nicht mal böse über die Verarsche. Wann das jetzt nicht wirklich Zuneigung und Liebe ist. Ist alles sogar ganz hübsch anzusehen, weil es so richtig kinomäßig gefilmt und inszeniert ist. Bleibt aber genau deshalb auch Kinderkram. Von Erwachsen-Werden oder -Sein ist da nicht viel zu spüren. Auch wenn sich die Großen und Angekommenen eigentlich auch nichts anderes wünschen als so eine bedingungslose Hingabe und Vertrauen, Treue ...

Muss man jetzt alles nicht zu sehr kritisieren. Muss man aber auch nicht unbedingt mögen. Was man in jedem Fall feststellen darf, die letzten Kollaborationen von Justin Bieber haben ihm doch auch ganz gut getan. What Do You Mean ist eine ganz clevere Mischung aus KYGO und dem kürzlich erst erlebten Battle DJ Snake X Diplo. Und mit diesem Mix aus zeitgemäßer Dekonstruktion und lauschigem Radiosound landet Justin Bieber nun auch hierzulande seinen größten Charthit. Immerhin: Aus dem Stand Platz 4. Das hat das kanadische Teenie-Idol zuvor noch nicht geschafft. Könnte also doch sein, dass sich hier ein Sänger anfängt zu etablieren. Und damit vielleicht auch ernstzunehmender oder erwachsener zu werden.

Freitag, 28. August 2015

Calvin Harris + Disciples: How Deep Is Your Love

Superstar Mr. Calvin Harris kann es dann also doch noch. Und schickt sich an auch im Jahr 2015 einer der sichtbarsten Produzenten zu werden. Erst zu Jahresbeginn war sein Outside mit der Stimme von Ellie Goulding zum Top-Hit geworden. Nun ist es How Deep Is Your Love. (Dazwischen gab es noch ein ganz schönes Intermezzo mit Pray To God, aber das setzte sich nicht so flächendeckend durch.)

Und wieder hat er sich Unterstützung zur Seite geholt. Dieses mal nicht nur eine Sängerin – die ungenannt bleibende Ina Wroldsen – sondern auch ein Produzententeam, nämlich die Disciples. Und diese Kombination tut dem Man of the Year 2014 (so das Glamour Magazin) ganz gut. Der mehr und mehr nervende und eintönige Stadion-Bretter-Rave-Sound macht nun Platz für eine etwas weniger brachiale Version von Dance-Music. Dass es im Jahr 2015 ein Deep House Track geworden ist, das wundert vermutlich keinen. Bösartig könnte ich hier auch sagen: Klar, wer verkaufen will, MUSS in Deep House machen.

Dass Calvin Harris bewusst auf die Chartspitzen zielt, nun ja – auch das ist nichts Ungewöhnliches. Schön finde ich, dass er dann doch noch einiges aus dem überpräsenten Sound rausholt. Bei How Deep Is Your Love bedient er sich nämlich ganz schön bei der 90er Version von Deep House. Das Piano darf ein bisschen klimpern und ein Anflug von Dream House lässt sich identifizieren. In der Extended Version ist dann sogar eine 303-Sequenz eingebaut. Sehr hübsch.

Hier macht Calvin Harris also endlich mal wieder das, womit er seine musikalische Karriere begann: Historisches adaptieren und ins Jetzt transportieren. Bei Acceptable In The 80s hat das vor fast 10 Jahren ziemlich geil hingehaun, bei How Deep Is Your Love funktioniert's nochmal ganz gut. Sogar mit Vocoder/Autotune-Effekt.



Die insgesamt solide Soundproduktion wurde mal wieder von Emil Nava mit einer schräg-düsteren Bildwelt versehen. Im Mittelpunkt steht das Modell Gigi Hadid – wir können Sie beobachten wie sie von einem Autopsietisch steigt und dann durch diverse halbseidene Partyszenen wandelt. Das Ganze bleibt immer in Andeutungen stecken, da darf sich jede*r einen eigenen Reim drauf machen. So weit ganz schön – auch die Art wie der Clip abgefilmt und mit Effekten versehen wurde ist durchaus überzeugend: verschiedenste Lichteffekte und Beleuchtungssituationen, ein bisschen Solarisation und ordentlich konträre Wechsel zwischen den Helligkeiten.

Ein bisschen langweilt dann aber doch, dass es immer wieder nur der Körper von Gigi Hadid ist, der da im Mittelpunkt steht. Auch wenn es eine sehr schöne Frau geht und diese Schönheit ihr offenbar in den Geschichten zum Verhängnis wird, ein bisschen mehr Abwechslung oder vielleicht auch mal eine etwas andere Körperhaltung als nur ein laszives sich Rekeln würde mir schon auch gefallen.
Auch die Stereotypen von schnellen Booten und Swimmingpool-Orgien sind nun auch nicht gerade das, was ich einen Aufreger nennen würde. Aber gut, es ist als leichte, sommerliche Unterhaltung angelegt. Warum auch nicht? Kann man schonmal machen.

Samstag, 22. August 2015

Ed Sheeran: Photograph

Was muss oder kann man überhaupt noch über Ed Sheeran erzählen? Vielleicht, dass er gerade zusammen mit Macklemore & Ryan Lewis einen Track veröffentlicht hat. Und so einmal mehr bewiesen hat, was für ein großartiges Gespür er hat für spannende Koproduktionen. Erst Hoodie Allen, jetzt also Macklemore & Ryan Lewis – solch eine Experimentierfreude würde man sich mal von deutschen Singer/Songwritern wünschen. Na gut, da gibt es ja auch schon einige echt schräge Kombinationen, nur sind die meist mit weniger coolen Ergebnissen zu Ende gegangen.

Der neue Song heißt Growing Up und erzählt über das Gefühl Vater zu werden und Vater zu sein. Und schließt fast nahtlos an den Titel (bzw. das Video) an, der/das gerade allerorten von Ed Sheeran zu hören ist: Photograph.

Es ist bereits der vierte Song vom Album X, der es als Solo-Single zu anständiger Popularität bringt. Und ich frage mich auch ein wenig: Was ist eigentlich das Faszienierende und Tolle an diesem Sänger. In den allermeisten Fällen reagier ich ja völlig allergisch auf diese stillen, gern auch romantisch-nachdenklichen Liedermacher, die ihre Gefühlswelt mit Gitarre begleitet vor uns ausbreiten. Eigentlich müsste ich also bei Ed Sheeran-Songs kotzen. Tu ich dann aber doch nicht. Irgendwas haben die Lieder, dass ich es doch aushalte, anhöre und manchmal sogar mag.

Zunächst ist das vor allem die Person Ed Sheeran selbst. Das ist ein Mann, dem ich auf der Straße begegnen könnte, der sich nicht mit Hut und Hippie-Jacke verkleiden muss und auch nicht so tut, als sei er der Ultraheld mit seiner Gitarre. Er ist vor allem sympathisch, weil er viel zu oft alberne Dinge macht und sogar über sich selbst lacht. Gleichzeitig aber seine Geschichten absolut ernst erzählt. Ich sehe ihm zu, wie er vor dem Mikrofon sitzt oder steht und merke: Das meint der jetzt genau so, das hat er erlebt.

So ist es auch bei Photograph. Gespickt mit eigenen Kindheitsvideos erzählt es davon, was eine Fotografie bedeuten kann. Wie wir unsere Gefühle auf ein kleines Stückchen Papier projizieren. Und wie diese zerknitterten 10x13 cm zu einem Heiligtum, zu einer Erinnerung und vielleicht auch zu einer Art Wunde werden können. Das ist in ganz einfachen und verständlichen Worten wiedergegeben, was auf unzähligen und endlosen Seiten in Ästhetiktheorie über den Fetisch des Abbildes geschrieben wurde. Braucht man alles gar nicht lesen um es zu wissen.



So wie Ed Sheeran es schafft ganz philosophische Gedanken in einfache Geschichten zu packen, so verfährt er auch mit seiner Musik. Bei Photograph steht als Autor dann auch ein Johnny McDaid, bekannt von Snow Patrol auf dem Cover und als Produzenten werden Jeff Bhasker und Emile Haynie genannt, die sich üblicherweise in HipHop-Gefilden herumtreiben. Da sind wir dann wieder bei den Kooperationen und gegenseitigen Einflüssen, welche die Songs von Ed Sheeran beeinflussen und ergänzen. Oder die Ed Sheeran nimmt und für sich interpretiert. Da steckt viel drin in den scheinbar einfachen Melodien und Liedern von ihm.


Nun ist Photograph tatsächlich seit dem Erscheinen des Albums einer der beliebtesten Tracks von allen und hat es als Einzeldownload immer wieder in die deutschen Charts geschafft. Wir müssen uns aber nichts vormachen und an dieser Stelle feststellen, dass der Song vor allem richtig erfolgreich wurde durch den Anfang Juni veröffentlichten Remix von Felix Jaehn. Was dieser Mann anfasst, das wird ihm sofort aus der Hand gerissen, egal was es ist.

Für mich klingt der Photograph-Remix einigermaßen uninspiriert. Ja – bisschen Marimbaphon und bisschen Streichersauce wurde noch zum DeepHouse-Beat gerührt, aber überzeugt mich das? Ich behaupte einfach mal: Felix Jaehn hat irgendwo mitgekriegt, dass Photograph ohne allen Schnickschnack schon am besten funktioniert und hat dann aus Respekt vor dieser Leistung auf jegliche weitere Bearbeitung verzichtet. Ob's so war, kann man ihn ja bei Gelegenheit mal fragen.

Für Ed Sheeran bleibt nach diesem Softwaschgang ein bisschen der Eindruck, dass seine Stücke vermutlich immer eine DJ-Variante brauchen um zum Über-Hit zu werden. So war es mit I See Fire und so scheint es auch mit Photograph zu passieren. Auch wenn diese Bearbeitungen den Originalen nicht unbedingt immer gut tun.

Glücklicherweise zeigt sich der Sänger selbst von all diesen Dingen relativ unberührt.

Samstag, 15. August 2015

Sido Feat. Andreas Bourani: Astronaut

Ok – ich muss mich nun also wirklich mal intensiver mit dem beschäftigen, was sich derzeit so an Raop im Radio breit macht. In dichter Folge hintereinander, nahezu gleichzeitig, platzen da MoTrip, Namika und nun auch noch Sido in die breite Öffentlichkeit und präsentieren uns mit HipHop-Allüre etwas, das ... tja, was denn eigentlich ist?

Um es vorwegzunehmen, MoTrip ist da momentan noch derjenige, welcher am ehesten was mit dem zu tun hat, was ursprünglich unter diesem Stilbegriff zusammen gefasst wurde. Und Sido?

Während seine erste Kostprobe aus dem kommenden Album VII noch ordentlich rau daher kam, schon der Titel Ackan, da ging es noch ran an den Speck ... dagegen ist Astronaut nun ordentlich mitsingfähig. Und deshalb auch um ein Mehrfaches erfolgreicher und präsenter. Ackan erfreute sich ja nur einer mittelmäßigen Nachfrage und war nach zwei Wochen wieder raus aus sämtlichen Wahrnehmungen.

Das ist ohnehin momentan das Seltsame im deutschen Rap: Während die Albumcharts voll sind mit den harten Jungs und Rhymes ... nur mal so zum Erinnern die Nummer 1-Acts von 2015 bisher: Prinz Porno, Vega, Favorite, Deichkind (naja, das geht als Electro-Rap vielleicht grad noch hier durch als ungeglättete Produktion), Frank White aka Fler, Bushido, Farid Bang, SpongBozz, Weekend, Xatar, Genetikk, KC Rebell, K.I.Z ... also klar, da ist in der Masse auch genügend dabei, was jetzt nicht nur Gangsta-Style sein will, sondern eher Spaß-Revolte ... trotzdem: Während sich die Alben der schnell sprechenden und eher bodenständigen Jungs offenbar wirklich gut umsetzen und aus etlichen Autoradios oder von Jugendgrillparties fast schon aggressiv herüberschallen, ist es mit den wirklich beliebten Einzelhits nicht so weit her. Das ist dann alles eher so Lieblingsmensch oder gar Bye Bye. Da sind wir dann im Sound fast schon bei Wolke 4, das hat mit Singen auch nicht viel zu tun und wird trotzdem nicht als Rap bezeichnet.

Mir ist natürlich klar, dass Single-Hits im Radio ganz viel mit Brei zu tun haben (müssen) und deshalb so ein richtig stilechter Rap gar keine Chance hat... obwohl: Anfang der 2000er war Eminem mal der große Held, und das hatte jetzt auch nicht unbedingt nur was mit besonders viel Weichspüler zu tun. Geht also auch anders. Will nur heute niemand so recht hören. Scheinbar.

Sind die Nummer 1-Erfolge der letzten Monate auf dem Albummarkt also auch nichts weiter als Strohfeuer? 1.000 Fans kaufen ganz schnell sobald die Scheibe draußen ist, eine Woche lang der Star auf dem Thron, und danach tiefer tiefer Absturz in der Gunst der Musikkaufenden... Richtiger Erfolg sieht irgendwie auch anders aus.

Das ist ja an sich auch ganz gut, dass die Macker aus dem Ghetto sich selbst treu bleiben und Chart-Stars werden ohne sich zu sehr krumm zu machen. Das muss man erstmal so durchhalten und hinkriegen. Keine Mitgrölhits fabrizieren, fett rumpöbeln auf jeden und alles, und trotzdem von einer nicht unerheblichen Menge gekannt und irgendwie gemocht werden. Oder zumindest so weit bejubelt zu werden, dass es für eine Geschichte im Boulevard reicht. Geschafft: Rap als Lebensstil durchgesetzt und nicht mal viel an Federn verloren...

Auf solch eine Form von Aufrichtigkeit, Straßenverbundenheit oder Stiltreue gibt Sido eher einen Scheiß. Der hat sich schon immer gern eine Maske aufgesetzt, bissel Quatsch gemacht und sich gefreut, wenn dann der Euro rollte. Ja, irgendwie hab ich schon eher den Eindruck, dass es Sido vor allem um Kohle und Medienrummel geht. Der Rest ist dann eher egal. Dazu gehört dann eben auch seit fünf Jahren das Zusammengehen mit jedem und allen, der irgendwas im Medien-Geschäft zu melden hat(te). Nun also Andreas Bourani.

Der gehört seit seiner Fußball-WM-Hymne Auf uns im vergangenen Jahr zum Selbstbeweihräucherungs-Jubel-Nationalgut und fühlt sich in dieser Rolle offenbar auch ziemlich Wohl. Mit Astronaut hat er dann auch wieder einen Grund die eigene Kraft und die Euphorie und gute Laune zu besingen. Sehr viel mehr kommt mit dem Refrain erstmal auch nicht rüber. Dagegen nimmt sich Sidos Part ordentlich reflektiert und bewusst aus. Rollentausch also – auch interessant: Der Rapper, der auf die eigene Verantwortung hinweist und an so etwas appelliert wie Vernunft(?), Solidarität, Menschlichkeit, und daneben der Liedermacher, der sich selbst für viel zu klein und unbedeutend hält, um irgendwas zu bewirken, das Feiern und Fliegen, das geht aber noch.

Die Unentschlossenheit und Zerrissenheit der aktuellen Gesellschaft in einen Song gepackt. Eigentlich sollten wir uns doch positionieren, Stellung beziehen, mal was anpacken und verändern ... aber ach, die große Weltgeschichte wird es uns nicht danken und die kleinen Rädchen eher zermürben. Wir haben irgendwie schon eine Ahnung davon, was Werte sind und wie es gehen sollte dieses Miteinander, nur um das auszuprobieren fehlt uns der Mut.

Hmmm - schade eigentlich. Vielleicht sollte Sido einfach wieder allein Tracks aufnehmen. Rap, der sich traut, auch mal ein bisschen mehr zu erzählen als ständig die Jammernummer vom harten Straßenleben und der Ungerechtigkeit der anderen. Wär' ja auch mal was. Könnte sein, dass es dann nichts mehr mit der Nr.1 wird - aber immer nur Große Koalition ist doch auch Mist, oder?

Sonntag, 9. August 2015

Namika: Lieblingsmensch

Nachdem in den vergangenen dreivier Jahren junge, deutschsprachige Pop-Liedermacher sehr massiv an Sichtbarkeit gewonnen haben und ein neues, junges Publikum begeistern konnten, sind es nun offenbar die Frauen, die nachziehen. Gerade noch feierte Sarah Connor ihren Einstand in den deutschsprachigen Pop und legte damit ein unglaubliches Comeback hin, auch Yvonne Catterfield kehrte in diesem Jahr beeindruckend von den Toten zurück. Und nun haben wir mit Namika tatsächlich einen ersten neuen Namen auf der Bildfläche. Die 24-Jährige schlägt mit ihrer Debütsingle Lieblingsmensch allerdings keine wirklich neuen Töne an.

Im Gegenteil bin ich erstmal überrascht, wie eingängig und irgendwie auch altbekannt ihr Song klingt. Das ist natürlich alles andere als verwunderlich, denn auch hinter Namika steht ein Produzententeam, das nicht ganz unbeleckt ist. Die Beatgees haben schon ein paar Jahre Erfahrung und auch Erfolg, wikipedia listet hier als Clienten solche Namen auf wie Culcha Candela, Flo Mega, MoTrip und einige andere mehr – diese drei hier mal zitiert um das Umfeld zu beschreiben, in dem wir uns bewegen. Künstler und Projekte, die sich mehr oder weniger im HipHop-Bereich verorten.

Das ist dann auch der Link, über den Namika zu den vier Jungs gestoßen ist. Oder umgekehrt, weiß man nicht so genau. Namika wird nämlich gern eine Orientierung am HipHop nachgesagt. Wenn man nur Lieblingsmensch kennt, würde man das zwar nicht so unterschreiben, aber glücklicherweise gibt es ja noch einiges mehr von ihr zu entdecken: NA-MI-KA zum Beispiel, oder Nador. Gerade ist ja auch sehr erfolgreich ihr Album veröffentlicht worden, da kann man dann schon mal die Bandbreite von Namika entdecken.

Auf dem Album und für mich besonders in den erwähnten Tracks wird sehr viel prägnanter deutlich, wofür Namika steht, wohin sie sich bewegt. Und es drängelt sich beim Hören ihrer Produktionen ein Name immer wieder auf, der als Referenz/Vorbild/Schablone herhalten kann: Sabrina Setlur. Namika steht also auch für den Frankfurt Sound (wenn man mal von der Dance- und Techno-Tradition der Main-City absieht).

Dass beide Frauen im Mainstream zunächst durch softe Beziehungsliedchen Fuß fassen kann zweierlei bedeuten: Die Masse ist eben nur über Kitsch-Sauce zu erreichen – die Singleauskopplung also ein durchdachter Marketing-Griff. Oder dass Frauen nach wie vor noch für die Gefühlskiste herhalten müssen, weil ihnen andere Themen nicht zugetraut werden.

Die zweite Vermutung lässt sich glücklicherweise dann doch recht fix entkräften. Zum einen haben die gern romantischen und ich-bezogenen bis introvertierten Songschreiber von Philipp Dittberner und Philipp Poisel über Wincent Weiss bis hin zu Mark Forster oder auch Andreas Bourani mit genügend Material in den letzten Jahren bewiesen, dass ihre gefühlslastigen Ergüsse sehr gut ankommen, offenbar also genügend glaubhaft rüberkommen. Emotion, Beziehungsdrama – das ist keine Frauendomäne mehr.

Und umgekehrt gilt: Während Sabrina Setlur sich noch sehr deutlich als starke Frau (Feminsitin?) positionieren musste über Hits wie Ja, klar oder Du liebst mich nicht, kann Namika ganz selbstbewusst über ihre Beziehung singen und sehr eigene Beschreibungen und Gründe finden, warum es eben ok ist, sich mit dem Lieblingsmenschen ein Stück Leben zu teilen ohne völlig abhängig von diesem zu sein oder lebensfremd verklärt.



Allerdings schliddert Lieblingsmensch mit Akustik-Gitarre zu den Strophen und breiten Streichern im Refrain ganz schön zwischen Liedermacher-Romantik-Soße und Schubidu hin und her. Und genauso ist es auch mit den Werbeauftritten für ihr Album Nador. Da sitzt die junge Frau und erzählt ihren Fans ganz lieb und nett, worum es in den Songs geht. Im Werbetext wird ihre Schönheit gepriesen... Und plötzlich erscheinen mir auch die Songs auf Nador gar nicht mehr so vielfältig und eigenständig.

Ein paar stärkere Brüche und etwas weniger Fokus auf den Mainstream würde ich mir wünschen. Die Zerissenheit, die sie in ihren Texten beschreibt würde ich gern auch musikalisch erleben oder an ihrem Auftreten in ihrer Inszenierung erkennen. Ich fürchte, dass sie all die Konflikte des modernen Lebens, die sie ja kennt, in der auf Erfolg getrimmten Marketing-Maschinerie zum dekorativen Beiwerk glattschleift. Übrig bleibt ein Pop-Abziehbild mit großstädtisch-multikulturellen Versatzstücken das niemandem weh tut.

Zum Ende des Sommers hat Namika beim Bundesvision Song Contest ja die Gelegenheit zu beweisen, ob sie mehr ist. Mit Hellwach wird sie Hessen vertreten. Und eigentlich würde es ihr gut tun, dort auf alles andere als auf Gewinn zu spielen.

Samstag, 1. August 2015

2.482 clicks...

... in one months. Wow!
Thank you all for being there after four years shredding :-)


Und hier geht's zum aktuellen Schredder: MoTrip featuring Lary So wie du bist

Freitag, 31. Juli 2015

MoTrip featuring Lary: So wie du bist

Eigentlich hat Jan Stremmel in seiner Kolumne ja schon alles über diesen Titel und über MoTrip geschrieben. Aber gut, es gibt ja immer noch etwas mehr zu sagen. Auch wenn ich natürlich genauso anfangen MUSS: Was ist nur aus den Rappern dieses Landes geworden? Sido – der Grundschullehrer mit Ausflügen in TalkShow-Pöbeleien, Kollegah – macht jetzt sogar gleich seinen Abschluss in Betriebswirtschaft, Kool Savas – weinerlicher Großkotz, der mit Xavier Naidoo jammert und Bushido – wer war das nochmal?

Nun also MoTrip – angekommen ganz oben in den Charts dank eines Werbespots, der Kopfhörer verkaufen will aber eigentlich vor allem den Abschied des Bastian Schweinsteigers von Bayern München beklagt. Fußball verkauft sich gut. Bzw. verkauft alles. Auch einen Track, der ohnehin schon als beliebtester des letzten MoTrip-Albums Mama durchging. War also gar nicht so verwegen diese Musikauswahl.

Worum geht's? Junge von der Straße tut alles um endlich anerkannt zu werden, Teil der etablierten Gesellschaft. Schafft's aber nicht, weil da alles andere als guter Wille und Bemühung zählt. Auch wirkliche Entwicklung oder Können sind nix wert. Aber mal ehrlich, wer will eigentlich zu so einem Verein dazu gehören? Selbst, wenn der 1000x die Welt beherrscht und mit stocksteifen Anzügen einen auf Globalherrschaft macht. Das waren doch höchstens mal Wahrheiten in den 1980ern.

Nunja, das ist das alte Problem all der Recken und Haudegen aus dem Ghetto. Eigentlich kämpfen sie immer nur um Anerkennung. Sie geben sich das harte Image um nicht zeigen zu müssen, dass sie eigentlich nichts lieber hätten als ein Stückchen gesellschaftliche Anerkennung. Mit Schlägen und Brutalität schafft man das natürlich. Zumindest scheinbar. Da kann man sich dann auch mal den Champagner und die dicken Autos leisten. Aber natürlich wissen auch alle: Dieser Luxus hält nicht so besonders lange. Und Angst ist nicht Anerkennung. Also ist es wohl nur der normale Weg, dass die ehemals knallharten Rapper doch zahm werden, im Mainstream-Fernsehen Platz nehmen und ziemlich schnell ordentliche Spießer werden. Endlich dann doch noch geschafft mit der Anerkennung. Denken sie.

MoTrip als Sozialarbeiter ist da dann doch schon ein bisschen weiter. (Ich behaupte mal hier, dass das wirklich eine Weiterentwicklung ist. Jan Stremmel sieht das vermutlich eher anders.) Der macht aus dieser Jammernummer "Niemand nimmt mich ernst" etwas, das vielleicht so etwas wie Stolz oder Rückgrat zeigt. Der sagt nämlich: Ist mir doch scheißegal was ihr von mir denkt. Eure Werte sind nicht meine. Hauptsache diese eine da findet mich cool.
Eigentlich geil so eine Haltung.

Nur als Lied dann eben irgendwie auch ganz schön ... kitschigbiederkinoleinwandmäßig. Also irgendwie auch doof. Genau deshalb passt es dann unter so einen Werbespot wie den von Beats by Dre. Und erhält durch den Dauereinsatz als Hit vollkommen den Genickschuss. Da kann der Künstler wahrscheinlich am allerwenigsten dafür. Hat er sich bestimmt nicht selbst ausgesucht, dass sogar die ZEIT über ihn schreibt. Oder eben nicht über ihn sondern über den Fußballer.

Genau das ist das Problem an diesem Track. Den kann man dann sogar als eigenes Werk völlig weg ignorieren. Oder so weit vereinnahmen, dass ich sogar was anderes damit erzählen kann. Das ist nicht unbedingt ein Beweis für eine besonders grandiose und einmalige Produktion.

Mal zum Vergleich: Wenn ich mir den Kram von K.I.Z (um mal die derzeitigen Platzhirsche und Everybody's Darlinge zu bemühen) oder Den Orsons anhöre, dann finde ich auch nach 1.000 mal hören und auch in den idiotischsten Zusammenhängen: Hey – das ist ja immer noch spröde, frech und auffällig. Das hat MoTrip irgendwie nicht hingekriegt. Zumindest nicht mit Bleib wie du bist.

Und wie um zu unterstreichen, dass es um Mainstream-Präsenz und -Erfolg geht, statt um Eigenheiten oder einen aufrechten Gang geht, lässt MoTrip zu seinem ungewollten Hit auch noch ein Video drehen. Mit Lena Meyer-Landrut! Noch Fragen? Ja eine: Wo ist er nur hingekommen, der deutsche Rap? – Die Antwort ist auch klar: Im Pop-Business.

Freitag, 24. Juli 2015

Robin Schulz (feat. Francesco Yates): Sugar

Beim ersten Hören hab' ich den Titel grad wieder ausgemacht, weil ich es vor Langeweile nicht ausgehalten habe. Von der Überraschung, mit der Headlights punkten konnte, ist nichts mehr übrig. Stattdessen geht es zurück auf Nummer "Ganz sicher" – und ich fange schon an darüber nachzudenken, wie oft man wohl das gleiche Stück immer wieder auflegen kann und zu einem sicheren Hit bringt.

Bei Modern Talking hat das in den 80ern ganz gut zwei Jahre gehalten, danach haben sie weiter produziert, weiter Erfolg gehabt, Geld gescheffelt – nach 15 oder 20 Jahren gab's dann sogar eine Reanimierung … Dieter Bohlen ist mittlerweile zum Ober-Arschloch des TV geworden, die sozial Schwachen und politisch Desinteressierten glotzen es trotzdem und haben Spaß.

Ich weiß nicht, wie unglücklich Robin Schulz wäre, wenn er in 20 Jahren so enden würde. Die Art, wie er hitfabrikmäßig seine Tracks produziert und veröffentlich, legt schon eine gewisse Eiseskälte und knallharte Berechnung nahe. Der Typ überlässt nichts dem Zufall. Das ist streng analysiert und umgesetzt.

Deshalb ist es eventuell nicht verkehrt mal zu schauen, was bei aller Gleichförmigkeit tatsächlich die Unterschiede sind bei Sugar. Ja tatsächlich, da gibt es etwas. Denn obwohl es wieder ein Gitarrenriff ist, das endlos wiederholt wird, hat es eine andere Fähigkeit zu Hypnotisieren. Die Hookline ist kürzer, keine fast-schon-Melodie, wirklich nur ein Sample und damit reiht sich der Sound eher in das ein, was Feder gerade exzessiv durchspielt. Vielleicht ein winziges Zurück zur Tanzfläche?

Auf diesen eher funktional angelegten Track liegt die Stimme von Francesco Yates, – angeblich ja ein kommendes Supertalent, sei's drum. Zumindest ist dieser junge Mann nicht leidend und selbstmitleidig wie Mr Probz, nein, der genießt das Leben, der hat Freude, der feiert. Hier eine schöne, mitreißende, anbetungswürdige, umwerfende Frau. Und das macht er nicht ordinär wie US-Stars à la Jason Derulo oder Robin Thicke – der junge Kerl macht das viel pfiffiger, mit wesentlich mehr Bewunderung. Deshalb nimmt er sich von der Baby Bash-Vorlage Suga Suga tatsächlich nur den Refrain. Und das ist nicht einfach nur hübsch, sondern richtig clever, denn letztlich ist der Rest eher ... naja.

Wenn dann das alles schon mal stimmt, dann kann es immer noch mit dem Video ganz schön daneben gehen. Aber auch da: Es gibt Differenzen. Robin Schulz und sein Team haben ein bisschen was gelernt.
Der Polizist, der völlig durchknallt, ist zunächst mal vor allem witzig, dann fangen die Rollenklischees tatsächlich an zu schwanken, Big Dipper hätte definitiv seine Freude an der Autowasch-Szene, und schließlich schmeißt sich der Typ in coole Klamotten um zum nächsten Robin-Schulz-Gig zu schreddern, sozusagen Totalverwandlung.



Das ließe sich jetzt schön lesen als eine Art: Sei wie du bist, egal wie spießig dein Job/Leben bisher verlief. Leider ist es im Jahr 2015 kaum noch möglich, diese Vision einfach stehen zu lassen. Wie schon bei Anna Naklabs Version von Supergirl behält die Normalität am Ende die Oberhand. Zu viel Party und Exzess will dann Robin Schulz auch wieder nicht.


Das Original:


PS:
Ehrlicherweise und um das Kalkül von Robin Schulz noch ein bisschen mehr herauszustreichen, muss man natürlich auch sagen, dass es in den letzten Monaten eine ganze Reihe von Remixen von Suga Suga gab. Robin Schulz hatte also genügend Gelegenheit zu studieren, wer da was richtig gemacht hat und was eben nicht so grandios funktioniert hat. Auch hier wieder: Der Typ ist reichlich clever und schlau genug um im richtigen Moment zuzuschlagen. Eventuell erleben wir ihn tatsächlich in 20 Jahren beim "Wer-wird-Europa's-Next-Super-DJ?"

Freitag, 17. Juli 2015

AVICII: Waiting For Love

Hmm – es musste ja so kommen. Egal, was der Schwede Tim Bergling aka AVICII auch auskoppelt, das Ding wird ein Hit. Ok – das ist ein klein wenig übertrieben. Die letztjährigen Singles Lay Me Down und auch The Nights blieben vergleichsweise unterbelichtet, schafften es nicht mal in die Top 10 der Single-Charts. Das ist für einen Superstar wie AVICII schon sehr ungewöhnlich. Mit Waiting For Love ist nun alles wieder in Ordnung.

Allerdings fährt AVICII mit dem Song auch schon ordentlich schweres Geschütz auf. Zunächst mal die Besetzung. Als Co-Producer fungiert hier Martin Garrix, der zwar nicht explizit genannt wird, aber im Vorfeld der Veröffentlichung durch diverse Posts und Tweets schon ordentlich besprochen wurde. Als Stimme sollte zunächst John Legend gewonnen werden. Der ist ja durch seinen Dauerbrenner All Of Me schon so etwas wie eine Legende. Dann entschied man sich aber doch für Simon Aldred, seines Zeichens Leadsänger von Cherry Ghost. Nicht unbedingt die große Berühmtheit, aber allein der Fakt, dass er nunmehr für John Legend "einspringt" adelt den Sänger ein wenig.

All das machte also schon ordentlich Wirbel und stellte zunächst mal ein Grundinteresse für Waiting For Love her. Ich behaupte mal, der Grund für den großen Erfolg war das alles aber noch nicht. Zumal ich weder das Besondere an der Garrix-Produktion raushöre, noch dass ich den Gesang jetzt so charismatisch einmalig empfinde... Aber da lasse ich mich gern von echten Musikwissenschaftler*innen eines besseren belehren.

Im Zeitalter von Social Media und virtueller Vermarktung zählen noch andere Faktoren. In diesem Fall waren es neben all den Meldungen drei nicht ganz unaufwändig produzierte Musikvideos.

Das erste, welches zeitgleich mit dem Song erschien, war das Lyric Video. Anders als sonst üblich, machten sich die Produzenten hier wirklich die Mühe, neben dem Songtext eine animierte Geschichte zu erzählen. Oder eigentlich ist es sogar genau umgekehrt, die Texteinbldendungen sind Nebensache, dem Trickfilm gilt das Hauptinteresse. Bei dem handelt es sich dann obendrein noch um eine anrührende Mansch-Tier-Geschichte mit kinotauglichem Kriegshintergrund. Das drückt nicht nur ordentlich auf den Gefühlsknopf (süßer Hund) sondern transportiert gleich noch ein märchenhaftes Wertegerüst mit (lebenslange Treue und Freundschaft - eigentlich bis in den Tod).



Das Realvideo wiederholt das Ganze als Geschichte zwischen einem alten Paar. Sie verschwindet eines Nachts plötzlich und unerwartet, so dass er sich auf die Suche nach seiner Liebe macht. Allerlei Hindernisse überwindet er und findet am Ende zu ihr zurück – die große, lebenslange Liebe hat sich bewiesen, hat überlebt.



Dieses Video hat im Gegensatz zur niedlichen Tiergeschichte ein paar Brechungen aufzuweisen. Geschichten von alten Menschen der Jugend zu zeigen, ist ja immer auch ein bisschen schwierig und hat lustige Ecken. Der Ausflug des Alten im Elektro-Rollator entbehrt also nicht einer gewissen Komik, die letztendlich den Alten doch zum Objekt macht, auf dessen Kosten die Jungen ihren Spaß haben.

Dass während der gesamten Suche vor allem alte Menschen den Weg des Alten kreuzen, ob nun KFZ-Reparateure oder Motorrad-Rocker, spielt eigentlich ganz schön mit dem Thema demographischer Wandel. So könnte es bald aussehen im überalterten Europa. Am Ende tauchen aber die Youngsters auf und feiern mit dem Seniorenpaar die Liebe. Party, Zweisamkeit, Glück und Jugend gehören zusammen – alt sein ist da schon eher problembehaftet. Hmmm ... Im Video geht das gerade nochmal gut. Immerhin darf auch die alte Frau ihren Liebsten noch mit wilden und verführerischen Tänzen und Beinbewegungen bezirzen.


Mit diesen beiden Kurzfilmen war es den Marketing-Strategen noch lange nicht genug. Innerhalb kürzester Zeit erschien auch ein 360°-Video zu dem Song. Und das war dann der große Clou für den Song. Eine raffiniert eingefädelte Kooperation zwischen Mediengiganten, die zwei Fliegen mit einer Klappe schlägt: Zum einen natürlich großartige Werbung für den Song – erstes interaktive Video ever! Das spielt in der Liga von Happy. Und dann auch eine super Promotion-Kampagne für den google-eigenen Webbrowser. Denn ohne Chrome-Browser ist da nix mit 360° und interaktiv.

Für Kiddies sind diese Vermischungen und Verquickungen von Vormachtstellungen und Verkaufsbewerbungen nicht so einfach zu durchschauen – oder wahrscheinlich schon Normalität geworden. Für etwas ältere und vielleicht auch ein wenig medienkritische Menschen ist das dagegen ein absolutes Unding. Resignierend kann ich hier feststellen: Die zweite Gruppe wird es schon sehr bald nicht mehr geben.

Waiting For Love macht uns also sehr schön vor, wie die Zukunft aussieht. Alte und durchaus auch konservative Werte ins 21. Medienjahrhundert transportiert und popkulturell aufgeladen. Du sollst dein google lieben wie dich selbst. Ohne diesen Service ist dein Leben traurig und einsam. Wer wird dich trösten? Wer verbindet dich mit der Welt? Wer macht dein fröhliches Leben überhaupt erst möglich? Ein Leben ohne google – unvorstellbar. Schlimmer noch: Gar nicht mehr machbar.

AVICII hat das offenbar erkannt.