Freitag, 3. Oktober 2014

The Avener: Fade Out Lines

Ich bin kein Deephouse-Fan. Warum eigentlich nicht? Ich kann elektronisch produzierte Musik doch ganz gut leiden. Und ganz besonders mag ich Clubmusik. Selbst wenn es in Richtung Lounge geht, muss das nicht schlimm sein. Meist finde ich die Art, wie da mit akustischen Rauminszenierungen umgegangen wird äußerst spannend.

Die letzten Monate haben mir allerdings die Lust an den softeren Rhythmen und vor allem an House ordentlich vermiest. Was da alles an Müll erschien und dann auch noch erfolgreich war… unaushaltbar. Einige Kostproben gibt es hier im Blog zu finden.

Dementsprechend negativ war ich eingestellt bei der Meldung, dass schon wieder so ein Deephouse-Teil aus dem Nichts die Spitze der deutschen Charts erklommen hat. Dass das Ganze aus Frankreich kommt (wie der Löwenanteil derzeit erfolgreicher Deephouse-Nummern), war dann noch das letzte Quäntchen um mich zu vergraulen.

Völlig zu Unrecht. Denn The Avener macht bei Fade Out Lines trotz aller Stilbedienerei einiges richtig. Zum Beispiel gibt es statt des Saxofons eine E-Gitarre - und zwar eine die nicht jammernd dahinschrammelt sondern genau vier Akkorde endlos wiederholt. Kein Versuch wie bei anderen Stücken, daraus einen Melodiefetzen zu machen, altbekannte Pop-Strukturen zu bedienen, und dann irgendwann einen kompletten Refrain zu erzeugen. Keine Glöckchen oder Romantik-Kitsch. Einfach reduziert auf das Nötigste – und das Ganze entwickelt einen hypnotischen Sog.

Das ist natürlich bereits die Stärke, die das Original von Phoebe Killdeer And The Short Straws auszeichnet. Womit ich noch einmal meine These wiederholen möchte, dass es offenbar nahezu unmöglich ist, aus schlechtem Material etwas Gutes zu machen. Umgekehrt funktioniert das leider häufiger.

Fade Out Lines ist im Original ein düsterer Song. Es geht um die Angst vor dem Unbekannten, vor dem Kontrollverlust, vor dem Ende. Gleichzeitig ist dieses langsame Ausfaden eine Gewissheit. Und irgendwie in dieser Unausweichlichkeit reizvoll und faszinierend. In der zeitlupenhaften Langsamkeit des Originals liegt dann auch der Versuch, diesen Prozess bis in das letzte Detail auszukosten.

Das lässt durchaus Vergleiche zu: Lilly Wood & The Prick setzen sich ebenfalls mit dem Ende auseinander. Gleichzeitig distanziert sich Fade Out Line von der Endzeittrauer. Denn hier steht nicht das Leiden an der Situation im Vordergrund als vielmehr der Umgang damit. Wenn wir schon alle dem Ende entgegen gehen, dann wollen wir das doch bitte auch erhobenen Hauptes tun.



Und so ist auch die Club-Variante weniger romantisch-leidend als vielmehr bewusst auskostend. Der Tanz auf dem Vulkan – allerdings mit offenen Augen und reichlich genau wissend, was da kommt. Könnte sein, dass damit der allerletzte Moment gar nicht mehr so erschreckend und angsteinflößend ist. Man steht förmlich neben sich: Das ist er jetzt also der letzte Moment – interessant.

Natürlich ist das ein dünner Grad. Und ob diese Coolness wirklich echt ist, wer weiß das schon. Angesichts des Videos lassen sich durchaus auch zynische Untertöne bei The Avener finden. Er schlendert durch Paris mit dem Schachbrett unterm Arm und verbringt seinen Tag beim intellektuellen Spiel. Sie ist natürlich Modell (was sonst) und spielt das schöne Leben. Am Ende treffen sich beide vor der Haustür und küssen sich, bevor sie in ihr Privatleben verschwinden.



Das was Phoebe Killdeer And The Short Straw besingen, wird hier kurzerhand umgemünzt auf die Inszenierung und das Rollenspiel im öffentlichen Raum. Wir sehen so natürlich aus, aber wer wir wirklich sind, bleibt verborgen. Das wahre Gesicht zeigen wir nur hinter verschlossenen Türen.

Eine solche Aussage ernsthaft im Jahr 2014 mit all den google- und NSA-Erfahrungen der letzten Jahre zu formulieren, finde ich mehr als romantisch.





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