Freitag, 25. April 2014

Vance Joy: Riptide


Im Hintergrund der deutschen wikipedia tobt ein kleiner Krieg. Schön zu beobachten in der Löschdiskussion um Robin Schulz. Der hat kürzlich Waves von Mr. Probz zum Hit gemacht, ohne seinen Remix würde heute niemand Mr. Probz kennen. In der wikipedia geht es nun aber beständig darum, ob ein DJ relevant genug sei, um mit einem eigenen Artikel auftauchen zu dürfen. Beliebtes Argument: “Der hat doch nur einen Beat drunter gelegt. Das ist keine künstlerische Leistung.”

Hmm – nun mögen das andere beurteilen, wieviel Kunstverständnis oder Talent dazu gehört aus einem weinerlichen Rapsong ein unterhaltsames Stück Musiktapete zu machen. Ohne diese Kombination jedoch würden wir eine ganze Reihe von Titeln nicht kennen. Und auch für diese vielleicht minimale Ergänzung muss man erstmal ein Gefühl entwickeln, welcher Beat passt wie wo drunter? Ich behaupte auch Riptide von dem Australier Vance Joy ist so ein Titel, den wir nur kennen, weil sich da jemand genau diese Gedanken gemacht und das dann auch noch realisiert hat. Ohne den Flic Flac-Remix würde der Singer-Songwriter weiterhin sein Publikum auf dem fünften Kontinent verzaubern, in Europa jedoch ein Nobody sein.

Nun weiß natürlich kaum jemand, wer diese Flic Flac-DJs sind. Und das obwohl sie sowohl Milky Chance wie auch Bedouin Soundclash aufgemotzt haben und damit deren Erfolg ordentlich beförderten. Das mögen viele nicht gern hören – die beiden stehen ja in den seltensten Fällen vorn auf dem Cover. Was aber nichts an deren Wichtigkeit (oder in wikipedia-deutsch: Relevanz) ändert. Früher waren es halt Produzenten wie Frank Farian oder Giorgio Moroder, die an den Knöpfen drehten und erst solche Acts wie Boney M., Donna Summer oder Milli Vanilli zu Ruhm brachten (die in den allerschlimmsten Fällen nicht mal wirklich singen konnten). Heut sind’s halt die DJs.

Was haben nun Flic Flac mit Riptide gemacht. Sie haben das Akustikgitarren-Liedlein für Folk-Fans und Neo-Hippies verwandelt in einen gängigen DeepHouse-Lounge-Hit. Muss man nicht mögen. Muss man aber zugeben, dass die Leichtigkeit des Mixes den Titel sehr viel konsumierbarer und massentauglicher macht. Das soll nicht heißen, dass es nicht genügend Akustik-Liedermacher-Fans gibt – so lange ist die Stripped Down-Welle ja auch noch nicht vorüber – allerdings wage ich ernsthaft zu bezweifeln, dass Titel Nummer eins auf der EP (das Original ohne Remix) die gleiche Anzahl an Radioeinsätzen hat, wie es derzeit der Flic Flac-Mix hat (Track 6). (Offizielle Zahlen dazu gibt es leider nicht, so wie in den offiziellen Charts von media control ja auch alle Versionen und Mixe unter einem einzigen Eintrag zusammengefasst werden, was letztendlich nur die institutionelle Entsprechung zur wikipedia-Relevanzdiskussion ist.)

Was sagen nun schon Verkaufszahlen über die Qualität der umgesetzten Musik aus? Wahrscheinlich nicht immer viel, allerdings wenn man Relevanz und Erfolg in Zahlen messen will, dann landet man eben doch fast zwangsläufig bei solch befragbaren Dingen wie Umsätzen oder Airplays. Kann also jetzt jede und jeder selbst entscheiden, welche Variante die schönere oder kunstvollere ist.





Ansonsten muss ich zu Deep House und Folk hier nichts weiter sagen. Das ist bereits alles ausgewertet und da fügt auch Vance Joy außer einem gepfiffenen Refrain nicht wirklich etwas Neues hinzu. Und selbst der erinnert mich irgendwie an One Hit-Singer Charlie Winston und sein Like A Hobo. Ich schätze mal, der Sommer wird uns noch eine ganze Menge ähnlich fabrizierter Hits bringen. Flic Flac sind da vielleicht nicht mal die schlechteste Wahl. Warum haben die eigentlich noch keinen wikipedia-Eintrag?






Freitag, 18. April 2014

Route 94 Feat. Jess Glynne: My Love


Jess Glynne ist die Stimme dieses Frühjahrs. So viel steht schon mal fest. Nachdem sie auf Rather Be der Band Clean Bandit kürzlich ausgeholfen hat (und vermutlich nicht unwesentlich zu deren Erfolg beigetragen hat), leiht sie nun die Stimme dem DJ und Produzenten Route 94, der mit My Love seinen ersten Ausflug in Deep House Gefilde macht und gleich mal alles was er zuvor unter dem Namen Dream in Sachen Dubstep veröffentlichte völlig in den Schatten stellt.

My Love also die nächste Deep House-Dudelhymne? Mitnichten. Route 94 führt vor, dass die kontinentale Definition des Stiles, die derzeit allgemein die Runde macht, mit den Ursprüngen nicht mehr so viel gemein hat. Außer vielleicht dem Rhythmus. Das gelingt dem Produzenten vor allem durch seinen Zugriff auf das House-Piano aus den 90ern, welches hier als zentrales Instrument eingesetzt wird und mit ein paar Synthesizer-Klängen und dem eher soul-affinen Refrain ergänzt wird. Diese Mischung schließt nahtlos an 90er Jahre Hosue-Produktionen an und führt damit noch einmal exemplarisch vor, was die Wurzeln des derzeitigen Mainstream-Sounds sind. Da wo andere DJs mit 80er Jahre Saxophon oder Akustik-Gitarrensound in die romantische Neo-Hippie-Gemütlichkeit abdriften, da sucht Route 94 nach wie vor den Anschluss an den Dancefloor.



Natürlich ist auch dieser Song nicht gefeit davor als Lounge-Hintergrund eingesetzt zu werden. Das wird nach den letzten Monaten vermutlich nie wieder möglich sein. Immerhin aber ist die Stimme von Jess Glynne so präsent, dass dann doch früher oder später mal die Aufmerksamkeit auf das gelenkt wird, was uns akustisch umgibt und die völlige Belanglosigkeit unterbrochen wird.

Ähnliche Effekte stellen sich ein, wenn man mal durch die anderen Remixe und Produktionen von Route 94 surft. Da drängt sich immer wieder ein starker 90er Jahre Bezug auf, der zwar zeitlos, aber nicht belanglos unzeitgemäß auftritt. Vielleicht ist Deephouse ja doch noch nicht völlig verbraucht.







Samstag, 12. April 2014

Jan Delay: St. Pauli


Es ist doch schon eine ganze Weile her, dass Jan Delay so einen richtigen Hit hatte. Also einen, der ständig im Radio lief, der einen wochen- oder monatelang irgendwie begleitete und mit dem eine Menge Leute etwas anfangen konnten. Ich würde sagen, Oh Johnny im Sommer 2009 war so ein Hit. Und nun ist als zweite Vorankündigung zu Jan Delays Rock-Album Hammer und Michel die Single St. Pauli erschienen. Den ersten Reaktionen und Verkaufszahlen zufolge können sich nahezu alle darauf einigen und finden den Song großartig. Warum eigentlich?

Klar, wenn man die Geilheit von St. Pauli besingt, dann kann das gar nicht schief gehen. Seit wieviel Jahrzehnten ist dieser Stadtteil und seine Vergnügungsmeile der Sehnsuchtsort des sich irgendwie freier, unangepasster und jung gebliebener definierenden Independent-Mainstreams? Selbst die ganz alten, angekommenen und teils sogar peinlichen Alt-Rocker zelebrieren immer noch ganz gern ihr unbändiges Leben, indem sie eine Hymne auf St. Pauli anstimmen.

Nach fast 20 Jahren Musikbusiness scheint Jan Delay auf dem besten Wege zu sein auch so ein Popkultur-Monument zu werden, das es sich verbietet alt zu werden oder sich zumindest gern so inszeniert als würde Alter nichts bedeuten. Oder warum muss es jetzt ausgerechnet ein Rock-Album sein?

Beim Hören von St. Pauli geht es ja dann doch auch ordentlich funky zu. Bläsersätze dürfen genauso sein, wie der Gesang auch weiterhin noch nasal-vernuschelt eher Soul als dreckiger Rock ist. Das ist vielleicht sogar ganz gut so. Aber warum es dann doch ausgerechnet E-Gitarren als Hauptinstrument sein müssen ... ?

Eventuell würde diese Kombination sogar ganz gut funktionieren, wenn das Ganze dann nicht doch ordentlich kantenfrei und glatt produziert wäre. Passt natürlich wesentlich besser zur inszenierten Video-Geschichte, die - warum auch immer - eine Startrek/Deep Space 9-Adaption ist. Allerlei skurrile und gestrandete Gestalten, die meisten davon schon ordentlich vom Leben gezeichnet (ach ja: Rock), treiben sich "Im Blauen Loch" herum, hängen ab oder lassen sich vollaufen. Natürlich gibt es da auch mal ordentlich Stress – der aber dank Antigravitations-Schalter schnell behoben werden kann.



Das also ist St. Pauli: ein Ort irgendwo im Nichts, auf dem nur die völlig Fertigen landen, voll mit kruden Gestalten, begierig nach Spaß. Böse könnte ich das Ganze auch eine eigensinnige Freak-Show nennen: Aussteiger, Außenseiter, Typen, die sich gern als individuell verkleiden, aber doch in ihrer Szene eher Normcore sind - und die an ihrem kleinen Paradies festhalten. Wer will schon nach Hause gehen, wo doch nur die schwarze und eiskalte Leere draußen wartet? Irgendwie fühlt sich das Ganze auch ordentlich nostalgisch an. Einfach ignorieren was draußen vor sich geht, so lange es noch im kleinen Kosmos funktioniert ist alles gut.

Nun muss ich natürlich an dieser Stelle nicht allzu streng sein. Denn all das lässt sich auch auf St. Pauli in Realität sagen. So wie es auf nahezu jede Vergnügungseinrichtung zutrifft. Oder was feiern wir eigentlich im Club? Und was soll dort auf gar keinen Fall stattfinden? Unsere Türsteher sorgen schon dafür, dass Stresspotenzial außen vor bleibt.

St. Pauli ist also die Hymne auf die kleinen abgegrenzten Biotope und sozialen Laboratorien in unserer Gesellschaft. Mit Referenz auf die Tradition der Hamburger Szene funktioniert das sofort. Jeder versteht's und stimmt ein in den Gesang. Schon finden sich Dutzende Cover-Versionen im Netz. Beim Vergleich wird dann auch schnell deutlich, wo die Schwächen in der nett-lustigen Version von Jan Delay liegen. Wenn nämlich Rantanplan St. Pauli abfeiern, dann geht das ganz anders zur Sache: ungehobelter, direkter und wesentlich ungeschminkter. Die Jungs haben nicht nur einfach Spaß, sie feiern auch so, wie man heute eben feiert. St. Pauli ist nämlich alles andere als alt(modisch). Ständig erfindet es sich neu. Das ist vielleicht für die seit Jahrzehnten dort lebenden Überlebenskünstler nicht immer ganz einfach. Aber es hält eben auch jung. Weshalb St. Pauli dann auch so eine Hymne verdient hat. Ganz ohne Nostalgie.

Freitag, 4. April 2014

Cris Cab: Liar Liar


Ich hasse Reggae. Dieses immer irgendwie selbstbemitleidende Jammern auf Happy-Sunshine-Sound transportiert für mich vor allem ein Gefühl der frühen 80er. Als die westliche Popwelt mehr und mehr entdeckte, dass es ja auch in anderen Regionen Musik gibt. Sogar mit ganz eigenen stilistischen Gesetzen. Das war irgendwie aufregend. Und wenn dann noch hier und da ein Funken andere Weltsicht mit ins Spiel kam, war es sogar bereichernd.

Etwa ein Jahrzehnt später wurde der Sound aus Jamaica dann ganz gern benutzt, um mir coole Kifferfaulheit schmackhaft zu machen. Meist mit einem gewissen Lustigkeitsfaktor. Das war schon nicht mehr mein Ding. Vielleicht weil Hanf nicht meine Droge ist und ich deshalb das Lebensgefühl auf Dope nicht nachvollziehen kann. Vielleicht auch, weil wie auf einer Menge Drogen das, was da passiert und entsteht doch auch in den allermeisten Fällen lediglich unterirdisches Niveau hat.

Dann gab (und gibt) es im Reggae ja auch eine ganze Menge Künstler, die nicht nur selten hirnloses Zeug in ihre Texte packen, sondern tatsächlich Angst haben vor Schwulen, starken Frauen oder überhaupt Menschen, die selbstbewusst durch’s Leben gehen. Sich selbst überschätzende Machos, die es nicht schaffen sich zu definieren ohne immer gleich auch auf allen andern rumzuhacken. Was für ein Weltbild: ich bin nur wer, weil ich alle anderen überrage.

Und dann kommt dieser Chris Cab, ein Bubi mit Schwiegersohngesicht, und singt ganz naiv unschuldig sein Lied. Und dieses dämliche Lied braucht auch tatsächlich nicht lange um sich in mein Gehirn einzunisten. Schon spüre ich, wie es wirklich Sommer wird und hätte Lust auf Meer und Strand. Palmen dürfen ruhig auch da stehen. – Das alles passiert, obwohl ich permanent bei dieser Stimme an mindestens Jimmy Cliff erinnert werde. Oder an sonst welche Gute-Laune-Hampelmänner aus den 80ern. Culture Club hat sich ja auch mal in Reggae versucht.

Wenn nun ein Künstler so permanent den Vergleich zu anderen provoziert, dann ist er entweder besonders einfallslos oder der andere (die anderen) hat/haben wirklich gar keine Bedeutung mehr. Beides könnte im Fall von Chris Cab der Fall sein. Gökalp Babayigit bringt's noch ein bisschen pointierter auf den Punkt - darf jede/r selbst entscheiden, wie talentiert der Jungstar wirklich ist.

Gründe Liar Liar nicht zu mögen, gibt es also genug. Warum bin ich dann trotzdem von diesem Titel angefixt und lasse mich sogar dazu verführen mitzusummen? Vielleicht liegt es daran, dass bei dieser Produktion Everybody’s Darling Pharrell Williams seine Finger als Produzent im Spiel hat. Der Mann schafft es offenbar ganz gut, so eine Art allgemeines Wohlbefinden zu erzeugen. Ob nun als Gastsänger oder als Hauptakteur oder in diesem Fall als Knöpfchendreher im Hintergrund. Er trifft recht genau den Ton, der in meinem Gehirn die Hebel umlegt und Endorphine freisetzt, egal ob es nun elektro-affiner Pop, Funk oder eben auch Reggae ist. Das find ich schon ordentlich erstaunlich.

Noch erstaunlicher finde ich, dass er es hinkriegt selbst die schlimmsten Songs und Geschichten derart unschuldig fröhlich zu verpacken, dass ich tatsächlich nur noch nachsichtig sein kann. Das war schon bei sexistisch hoch 10 Blurred Lines so und ist bei Liar Liar ganz genauso. Unglaublich. Sagt dem dann trotzdem mal irgendjemand, dass er so auch auf den Empfindungen einer Menge Leute rumtrampelt? Bitte. Das Recht der Mehrheit ist nicht immer auch das Richtige.

Könnte trotz all dem gut sein, dass Pharrell Williams noch noch eine ganze Weile das musikalische Geschehen hierzulande mitbestimmt. Sein Markenzeichen – infektiöse Funkyness angewandt auf vielfältigste Stile – ist derart allgemein oder auch variabel, dass sich nicht nach der dritten Produktion ein Gähn-Effekt einstellt. Jetzt bin ich direkt gespannt, wieviel Variationen er uns noch zu bieten hat ohne dass jeder sagt: ach ja - wieder mal der Pharrell...